Chronik 1905

JANUAR
  • 2. 1.

    Die russische Besatzung der Hafenfestung Port Arthur kapituliert nach monatelanger Belagerung durch die Japaner. Damit ist der Ausgang des Russisch-Japanischen Kriegs entschieden.

  • 4. 1.

    In Deutsch-Südwestafrika erstürmen deutsche Kolonialtruppen nach 50-stündigem Gefecht Groß-Nabas, die wichtigste Festung der Nama.

  • 5. 1.

    Helene Stöcker gründet in Berlin den "Bund für Mutterschutz". Ziel der Vereinigung ist die Anerkennung nichtehelicher Lebensgemeinschaften, die Gleichstellung unehelicher Kinder und die Streichung des § 218.

  • 7. 1.

    Im Ruhrgebiet beginnt ein Bergarbeiterstreik, an dem sich im Laufe eines Monats fast 200.000 Kumpel beteiligen. Auslösendes Moment ist die Forderung nach der Rücknahme einer im Dezember 1904 verfügten Schicht-Verlängerung.

  • Die USA übernehmen vertraglich den Schutz und die Finanzhoheit über die Dominikanische Republik und bezahlen deren Auslandsschulden. Damit sinkt das mittelamerikanische Land praktisch auf den Status einer Kolonie der Vereinigten Staaten.

  • 22. 1.

    Zaristische Truppen eröffnen in der russischen Hauptstadt St. Petersburg das Feuer auf rund 140.000 Demonstranten, die friedlich auf die Beantwortung einer Bittschrift an den Zaren warten. Dem Massaker fallen rund 1.000 Menschen zum Opfer, mehr als 2.000 werden verletzt. Mit dem "Petersburger Blutsonntag" beginnt in Russland eine Periode revolutionärer Unruhen, die sich bis ins Jahr 1907 hinziehen.

FEBRUAR
  • 4. 2.
    Das Zentrum bringt im Deutschen Reichstag den "Toleranzantrag" ein. Er fordert für alle staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften in allen deutschen Ländern die gleichen Rechte.
  • 8. 2.
    Die Kanalbauvorlage wird vom Preußischen Abgeordnetenhaus in modifizierter Form angenommen. Damit haben sich agrarische Interessen erneut durchgesetzt.
  • 9. 2.
    Ein Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet führt zur Rekordzahl von 15 Millionen gestreikten Arbeitstagen in Deutschland.
  • Tod des Malers und Zeichners Adolph von Menzel in Berlin.
  • 11. 2.
    Tod des Schriftstellers Otto Hartleben (1864-1905) in Salò am Gardasee.
  • 22. 2. Der Reichstag verabschiedet neue Handelsverträge mit zahlreichen Außenhandelspartnern Deutschlands. Die Verträge begünstigen die deutsche Landwirtschaft.
  • 27. 2. In Berlin wird im Beisein der Kaiserfamilie der erste protestantische Dom Preußens eingeweiht.
MÄRZ
  • 4. 3.
    Mit einem bombastischen Zeremoniell wird Theodore Roosevelt in Washington in seine zweite Amtsperiode als Präsident der Vereinigten Staaten eingeführt.
  • 20. 3.
    Theobald von Bethmann Hollweg wird neuer preußischer Innenminister.
  • 23. 3.
    Tod des französischen Schriftstellers Jules Verne (1828-1905) in Amiens.
  • 31. 3.
    Ein Besuch von Kaiser Wilhelm II. in der marokkanischen Hafenstadt Tanger führt zur ersten Marokko-Krise. Das Deutsche Reich betrachtet Marokko als unabhängigen Staat und gerät so in Konflikt mit Frankreich.
APRIL
  • 1. 4.
    Der Reichstag verabschiedet ein Gesetz über die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres. Innerhalb von vier Jahren soll die Landstreitmacht um 10.000 Mann auf insgesamt rund 500.000 aufgestockt werden.
  • 21. 4.
    Der amerikanische Multimillionär und Kunstmäzen Andrew Carnegie (1835-1919) schenkt dem Britischen Museum in London das Skelett eines in Nordamerika ausgegrabenen Dinosauriers.
  • 25. 4.
    In Frankreich vereinigen sich die beiden sozialistischen Parteien unter Jean Jaurès und Jules Guesde (1845-1922) zur "Sozialistischen Partei, Französische Sektion der Arbeiterinternationale" (SFIO). Die Partei gibt sich ein marxistisches Programm, Wortführer im Parlament wird Jaurès.
  • 27. 4.
    In der belgischen Stadt Lüttich wird die 18. Weltausstellung eröffnet. Sie fällt zusammen mit den Feiern zum 75. Jahrestag der Unabhängigkeit Belgiens. Deutschland ist neben dem Gastgeberland und Frankreich der größte Aussteller.
MAI
  • 1. 5.
    Bei Maikundgebungen in Warschau kommt es zu blutigen Zusammenstößen zwischen polnischen Arbeitern und dem russischen Militär. Mehr als 100 Polen werden getötet. Über die Stadt wird das Kriegsrecht verhängt.
  • 7. 5.
    Einen weiteren Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung erlebt die russische Stadt Shitomir. Zwei hebräische Druckereien und zahlreiche Geschäfte werden zerstört, fast 200 Menschen kommen ums Leben. Die Pogromstimmung wird von der zaristischen Regierung geschürt, indem sie die Juden für die revolutionären Unruhen im ganzen Land verantwortlich macht.
  • 22. 5.
    In Köln beginnt der 5. Kongress der Freien Gewerkschaften, der mit 1,3 Millionen Mitgliedern größten Gewerkschaftsbewegung Deutschlands. Die Delegierten sprechen sich mehrheitlich gegen den Generalstreik zur Durchsetzung gewerkschaftlicher Forderungen aus.
  • 27. 5.
    In der Seeschlacht bei Tsuchima erringt die japanische Flotte den entscheiden Sieg über Russland und sichert sich damit die Vorherrschaft auf den ostasiatischen Gewässern.
JUNI
  • 6. 6.
    Die Hochzeit des deutschen Kronprinzen Wilhelm (1882-1951) mit Herzogin Cecilie von Mecklenburg-Schwerin (1886-1954) ist das herausragende gesellschaftliche Ereignis des Jahres. Die Feierlichkeiten erstrecken sich über mehrere Tage.
  • 7. 6.
    Das norwegische Parlament erklärt einstimmig die Union mit Schweden für aufgelöst. König Oskar II. (1829-1907) von Schweden und Norwegen wird für das Gebiet Norwegens abgesetzt.
  • In Dresden gründen vier Studenten der Architektur und der Malerei Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl (1880-1966) die Künstlervereinigung "Die Brücke". In ihr finden die herausragenden Vertreter des deutschen Expressionismus ihre Heimstatt.
  • 22. 6.
    Der Mediziner und Privatgelehrte Alfred Ploetz (1860-1940) gründet in Berlin die "Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene". Die Gesellschaft will "Rassenhygiene" als wissenschaftliches Fach einführen.
  • 27. 6.
    Eine Meuterei auf dem Panzerkreuzer "Potemkin" und dessen Landung in Odessa führen zu einer Eskalation der revolutionären Unruhen im russischen Schwarzmeergebiet.
JULI
  • 7. 7.
    Mit Einführung eines neuen Zensuswahlrechts im Freistaat Lübeck verliert ein Großteil der Bürger seine Wahlberechtigung.
  • 9. 7.
    Bei einer Massenkundgebung der SPD in Berlin gegen die drohende Kriegsgefahr im Zusammenhang mit der Marokko-Krise beschwören rund 18.000 Teilnehmer die Verbundenheit des deutschen und des französischen Proletariats. Die geplante Teilnahme des französischen Sozialistenführers Jean Jaurès wird durch eine persönliche Intervention von Reichskanzler Bernhard Graf von Bülow verhindert.
  • 25. 7.
    Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II. vereinbaren bei einem Treffen auf der Insel Björkö ein Defensivbündnis zwischen dem Deutschen und dem Russischen Reich. Es verpflichtet für den Fall eines Angriffs einer europäischen Macht den jeweils anderen Vertragspartner zur Hilfeleistung. Das Abkommen wird jedoch nie ratifiziert.
AUGUST
  • 4. 8.
    In der amerikanischen Hafenstadt Portsmouth beginnen die Friedensverhandlungen zwischen Japan und Russland. Präsident Roosevelt empfängt die Leiter der Verhandlungsdelegationen und übernimmt die Vermittlung.
  • 12. 8.
    Großbritannien und Japan unterzeichnen in London ein "Schutz- und Trutzbündnis". Es regelt die Abgrenzung der gegenseitigen Interessensphären in Südostasien nach dem Russisch-Japanischen Krieg.
  • 13. 8.
    Bei einer Volksabstimmung in Norwegen votieren 368.392 Wähler für die Beendigung der Union mit Schweden, nur 184 sind dagegen. Frauen dürfen nicht mit abstimmen.
  • 29. 8.
    In der Stettiner Vulkanwerft läuft im Beisein des Kaiserpaares der Dampfer "Kaiserin Auguste Viktoria" vom Stapel. Das größte deutsche Fahrgastschiff bietet mehr als 4.000 Passagieren Platz und steht im Dienst der Hamburg-Amerika-Linie.
SEPTEMBER
  • 5. 9.
    Japan und Russland unterzeichnen einen Friedensvertrag. Russland verliert den südlichen Teil der Insel Sachalin und den Hafen Port Arthur; Korea wird japanisches Interessensgebiet. Beide Mächte ziehen ihre Truppen aus der Mandschurei zurück und erkennen die Hoheit Chinas über das Gebiet an.
  • 7. 9.
    In Tokio kommt es aus Enttäuschung über die Ergebnisse des Friedensvertrags mit Russland zu blutigen Ausschreitungen. Die Proteste richten sich gegen die eigene Regierung und die Vermittlerrolle der USA.
  • 17. 9.
    In Jena beginnt der Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Die Resolution zur Befürwortung des politischen Generalstreiks, der mit "umfassendster Anwendung der Massenarbeitseinstellung" umschrieben wird, wird mit 287 gegen 14 Stimmen angenommen. Diese Protestform soll allerdings nur in Fällen von Einschränkungen des Reichstagswahlrechts und des Koalitionsrechts angewendet werden.
OKTOBER
  • 7. 10.
    In Leipzig wird im Beisein des sächsischen Königs Friedrich August III. (1865-1932) das Neue Rathaus seiner Bestimmung übergeben.
  • 18. 10.
    Gründung der Künstlervereinigung "Fauves" in Paris.
  • 24. 10.
    In Russland mündet die revolutionäre Krise in einen politischen Generalstreik, der von der Forderung nach dem Sturz der zaristischen Herrschaft und dem Ruf nach einer demokratischen Republik begleitet wird.
  • 26. 10.
    Schweden und Norwegen fixieren in der Konvention von Karlstadt die offizielle Auflösung der Staatenunion.
  • 30. 10.
    Zar Nikolaus II. verspricht in seinem "Oktobermanifest" bürgerliche Grundrechte und die Wahl einer gesetzgebenden Versammlung (Duma). Damit befriedigt er zwar die liberale Opposition, nicht aber die revolutionären Sozialisten. Sie fordern die Abschaffung der Monarchie.
NOVEMBER
  • 4. 11.
    Russland stellt durch einen Erlass von Zar Nikolaus II. die Autonomie Finnlands wieder her.
  • 5. 11.
    Nach fast 20jähriger Zersplitterung der Liberalen gründen Vertreter der Freisinnigen Volkspartei, der Freisinnigen Vereinigung, der Deutschen Volkspartei, der jungliberalen Vereine und der Vereine der Nationalsozialen einen gemeinsamen Zentralausschuss.
  • 12. 11.
    Prinz Carl von Dänemark wird als Haakon VII. (1872-1957) zum König von Norwegen gewählt.
  • 19. 11.
    In Berlin wird der öffentliche Autobusverkehr aufgenommen. In der Nacht verkehren weiterhin Pferdebusse, nur am Tage werden die neuen Kraftomnibusse mit insgesamt 24 Sitzplätzen eingesetzt.
  • 28. 11.
    In Wien demonstrieren mehr als 200.000 Menschen für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Zuvor gab es bereits machtvolle Kundgebungen in Prag und Budapest.
DEZEMBER
  • 1. 12.
    Im Deutschen Reich leben 60.641.278 Menschen. Das bedeutet eine Zunahme von 7,6 Prozent gegenüber der letzten Volkszählung vor fünf Jahren. In der Reichshauptstadt Berlin leben 2.040.148 Einwohner.
  • 6. 12.
    Reichskanzler Bülow fordert in einer Grundsatzrede vor dem Reichstag eine "offene Tür" nach Marokko. Damit rückt die Marokko-Krise wieder ins Zentrum der deutschen Außenpolitik.
  • 9. 12.
    Uraufführung der Oper "Salome" von Richard Strauss in Dresden.
  • 10. 12.
    Den Friedensnobelpreis erhält die österreichische Pazifistin Bertha von Suttner. Auch drei deutsche Wissenschaftler werden mit dieser Auszeichnung bedacht: Robert Koch erhält den Nobelpreis für Medizin, Adolf von Baeyer (1835-1917) für Chemie und Philipp Lenard für Physik.
  • 20. 12.
    In Moskau kommt es nach einem Aufruf des Sowjets der Arbeiterdeputierten zu einem erneuten Generalstreik, der am 23. Dezember in einen bewaffneten Aufstand mündet. Die Erhebung bleibt isoliert und wird innerhalb einer Woche von zaristischen Truppen niedergeschlagen.
  • 28. 12.
    Uraufführung der Operette "Die lustige Witwe" von Franz Lehár (1870-1948) in Wien.
AUSSERDEM:
  • Claude Debussy (1862-1918): Das Meer (Symphonische Skizzen)

  • Albert Einstein: Relativitätstheorie (physikalische Abhandlung)

  • Gustav Mahler: Kindertotenlieder (Liederzyklus)

  • Heinrich Mann: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen (Roman)

  • Christian Morgenstern: Galgenlieder (Gedichte)

  • Rainer Maria Rilke: Stundenbuch (Gedichte)

  • Romain Rolland (1866-1944): Johann Christof (Romanzyklus)

  • George Bernard Shaw (1856-1950): Mensch oder Übermensch (Schauspiel)

  • August Strindberg (1849-1912): Totentanz (Schauspiel)

  • Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (Soziologische Abhandlung)
Dorlis Blume/Andreas Michaelis
7. November 2015

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