Sexualität, Schwangerschaft,
Geburt
In beiden deutschen Staaten hatte sich im
Zuge säkularer Veränderungen eine beträchtliche
altersmäßige Vorverlagerung in der sexuellen Entwicklung
vollzogen. Demgegenüber hatte sich die Schul- und Berufsausbildungsphase
verlängert, so daß sich der zeitliche Abstand zwischen
biopsychischer Entwicklung und der Verwirklichung von Sexualität
und Partnerschaft im Rahmen einer Ehe bzw. Familie immer mehr
vergrößert hatte. Diese Tendenz ließ sich auch
in der DDR trotz des frühen Erstheiratsalters und der vergleichsweise
kürzeren Dauer der schulischen und beruflichen Ausbildung
feststellen. Die pädagogische Zielsetzung eines Aufschubs
sexueller Bedürfnisse möglichst bis zum Abschluß
der Schulzeit bzw. Berufsausbildung hat sich als nicht realistisch
erwiesen. Liebe und Sexualität hatten dementsprechend bei
Jugendlichen einen hohen Stellenwert. Im Alter von 15 bis 18 Jahren
hatten die meisten Jugendlichen erste sexuelle Beziehungen aufgenommen;
das galt für Mädchen wie Jungen gleichermaßen.
Als wichtige Voraussetzung für eine
harmonische Sexualbeziehung und ebenso für eine geplante
Elternschaft sind ausreichende Kenntnisse erforderlich. Sie waren
bei den meisten Jugendlichen in der DDR jedoch nur unzureichend
vorhanden, was sowohl Fragen des Sexualverhaltens, der Zeugung,
Schwangerschaft, Geburt wie der Empfängnisverhütung
betraf. Anstelle einer rechtzeitigen Verhütung zogen viele
Jugendliche sogar den Schwangerschaftsabbruch (s. Gesetz über
die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 09.03.1980) als Möglichkeit
der (nachträglichen) "Verhütung" ins Kalkül.
Ungewollte Empfängnis und zahlreiche Schwangerschaften in
sehr jungem Lebensalter waren die unerwünschten Folgen. Etwa
jedes fünfte Mädchen wurde vor Erreichen der Volljährigkeit
schwanger. Davon waren die meisten (zwei Drittel) unter 16 Jahre
alt. Nur 28 Prozent der Schwangerschaften vor dem 18. Lebensjahr
wurden ausgetragen; die meisten wurden abgetrieben bzw. endeten
als Fehlgeburten. Der Anteil der außerehelichen Geburten
war insgesamt mit 34 Prozent außerordentlich hoch; in der
Bundesrepublik betrug er zum gleichen Zeitpunkt knapp 10 Prozent.
Diese unerwünschten Entwicklungen wurden in der DDR mehrfach
zum Anlaß genommen, um die Notwendigkeit einer rechtzeitigen
schulischen Kenntnisvermittlung und moralischen Vorbereitung der
jungen Generation auf Ehe und Familie zu unterstreichen. Versäumnisse
wurden sowohl den Lehrern als auch den Eltern der Jugendlichen
angelastet. Außerdem hatten die umfassenden Hilfen für
junge alleinstehende Mütter offensichtlich einen unerwünschten
Verstärkereffekt auf die Risikofreudigkeit der Jugendlichen.
Die positiv gemeinte umfassende soziale Absicherung wirkte teilweise
in negativer Richtung zu Lasten von Eigenverantwortung gegenüber
dem Partner und den aus der ungeplanten Schwangerschaft resultierenden
Kindern.
Eheschließung oder
außereheliche Lebensgemeinschaft
Eine Schwangerschaft wurde von den meisten
Jugendlichen nicht mehr als zwingender Grund für eine Eheschließung
angesehen. Allein wegen eines zur erwartenden Kindes würden
(z.B. nach der bereits genannten Studie von Borrmann und Schille)
nicht heiraten: 75 Prozent der befragten Mädchen und 56 Prozent
der Jungen.
Die Anzahl der jungen Paare, die zunächst
in einer außerehelichen Lebensgemeinschaft zusammenleben,
hat insgesamt zugenommen. Häufig handelt es sich dabei um
eine Erprobungs- bzw. Vorphase mit festem Partner, die in den
meisten Fällen in eine rechtlich legitimierte Ehe einmündet.
Der Anspruch der Jugendlichen auf Ausschließlichkeit, Dauerhaftigkeit
und Treue in der Paarbeziehung gilt für beide Konstellationen.
Trotz analoger Tendenzen ließen sich
im Vergleich beider deutscher Staaten einige typische Differenzen
feststellen. Bei den jungen Paaren in der Bundesrepublik war der
Kinderwunsch meist das Motiv für eine Eheschließung.
Somit erfolgte die Legalisierung der bereits erprobten Paarbeziehung
zumeist zugunsten eines gewünschten gemeinsamen Kindes. Diese
Tendenz zur bewußten Elternschaft zeichnete sich als ein
typisches, positives Merkmal junger Paare in der Bundesrepublik
ab.