Kinder tragen die Folgen
Das Schicksal der Kinder wurde nur selten
thematisiert. In der DDR waren zahlreiche Kinder durch Ehescheidungen
betroffen: jährlich waren es ca. 75.000 Kinder. Viele von
ihnen kamen durch Wiederverheiratung der Eltern in neue Familien,
zumal ein großer Teil der neuen Ehepartner ebenfalls eigene
Kinder in die neue Ehe mitbrachte. Somit bildete sich in der DDR
eine neue Familienform, die sogenannte "Stieffamilie"
heraus. Nach vorliegenden Schätzungen werden voraussichtlich
zwischen einem Drittel und der Hälfte der seit Mitte der
achtziger Jahre Neugeborenen nicht in der Familie aufwachsen,
in die sie hineingeboren wurden. Das ist um so gravierender, als
40 Prozent der geschiedenen Ehen nicht länger als fünf
Jahre hielten. Noch schwieriger gestaltete sich das Schicksal
der Kinder, die von sehr jungen alleinstehenden Müttern zur
Welt gebracht wurden, die oft selbst noch "unfertig"
waren. Die daraus resultierenden vielfältigen sozialen und
emotionalen Defizite ließen sich durch die umfassende außerfamiliale
Betreuung und Erziehung nur teilweise kompensieren. Die psychischen
Folgen, z.B. aus den ungeklärten Beziehungen zwischen den
getrennten Eltern, durch Verweigerung des außerhalb der
Familie lebenden Elternteils, Verunsicherung des Stiefelternteils,
Loyalitätskonflikte der Kinder bzw. Stiefkinder, wurden bislang
nur unzureichend untersucht. Immerhin wurde von wenigen Sozialwissenschaftlern
in der DDR auch kritisch gefragt, ob alles Machbare im Sozialismus
auch wünschenswert sei. Offensichtlich hätten die jungen
Paare Anpassung und Verzicht zugunsten der Partnerschaft nicht
gelernt, werde Selbstverwirklichung nur auf Kosten der Selbstlosigkeit
erreicht. Die Leidtragenden seien die Kinder. Die Zerstörung
einer gewachsenen Beziehung bringe die Kinder um die Möglichkeit,
ihre elementaren Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Das sei
nur in einer stabilen Eltern-Kind-Beziehung möglich. Es sei
an der Zeit, einen für manche altmodisch klingenden Begriff
ins Bewußtsein der jungen Eltern zurückzurufen: die
Treue.
Zukunftsperspektiven
In den Wunschvorstellungen Jugendlicher
zu Ehe und Familie ließen sich im Vergleich beider deutscher
Staaten zahlreiche Ähnlichkeiten feststellen. Sie waren offensichtlich
stärker geprägt durch die Rahmenbedingungen moderner
Industriegesellschaften als durch die systemspezifisch differenten
Ideologien und Normen. Unterschiede ließen sich jedoch in
der Realisierung der Wunschvorstellungen sowie im Lebensalltag
von jungen Paaren und Familien erkennen, der in der DDR durch
die Priorität der Arbeit für Mann und Frau bestimmt
wurde. Außerdem wurden durch die konsequenten und frühzeitigen
Einflüsse der außerfamilialen Instanzen auf die Kindererziehung
die Spielräume für individuelle Entwicklungen und unterschiedliche
Ausgestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Die Versuche,
das generative Verhalten von Paaren sozialpolitisch zu steuern,
sind im Rückblick eher skeptisch zu beurteilen. Wenn man
von den Wünschen und Vorstellungen der Jugendlichen und jungen
Paare ausgeht, so werden die künftigen jungen Familien voraussichtlich
ebenfalls nicht mehr als durchschnittlich ein bis zwei Kinder
haben. Das wird auch im vereinten Deutschland gelten. Ehe und
Familie werden jedoch weiterhin eine Chance haben, da die Mehrheit
der Jugendlichen diese Lebensformen wünscht und zu verwirklichen
sucht.
© Barbara
Hille, 1993