Man muß sich die Struktur und den
Inhalt dieser Riten genauer ansehen, um deren Leistungsfähigkeit
für die Orientierung innerhalb des Lebenslaufes nachvollziehen
zu können. Wichtig ist dafür, daß der Transitionsritus
nicht von dem Initianden bzw. der Initiandin selbst vollzogen
werden kann, sondern immer von fremden Autoritäten, Vertretern
der Lebensgemeinschaft, zu der die betreffenden Menschen gehören.
Diese sind in besonderer Weise autorisiert und geeignet, einen
solchen Ritus durchzuführen. Die Autorisation erwerben sie
durch Weihen der Gemeinschaft und durch ihre über das gewöhnliche
Maß hinausgehenden Kenntnisse der Zusammenhänge von
Leben und Tod. Der Transitionsritus selbst ist nun dadurch gekennzeichnet,
daß der Initiand bzw. die Initiandin häufig aus seiner/ihrer
gewohnten Umgebung entfernt wird. Dieses ist das rituelle Exil,
wie wir es zum Beispiel in vielen Kulturen beim Pubertätsexil
oder auch als Geburtsexil kennen. Die Entfernung aus der gewohnten
Umgebung ist keine Urlaubsreise, sondern sie findet unter dramatischen
Umständen, zum Beispiel als gewaltsame Entführung, statt.
Der Initiand oder die Initiandin erlebt diese Exilation als eine
dramatische Verunsicherung. Im Transitionsexil finden im wesentlichen
zwei Ereignisse statt: Manipulationen, zum Teil sehr schmerzhafter
Art, am Körper des Initianden bzw. der Initiandin und Belehrungen
über die bevorstehende Lebensphase und über das, was
die Gemeinschaft von dem Initianden erwartet. Diese Belehrungen
sind uns heute noch nachvollziehbar. Als Brautunterricht oder
Taufunterricht für die Eltern und Paten, auch in der Gestalt
des Beileidsbesuchs eines Pfarrers bei den Hinterbliebenen eines
Toten sind Reste dieser rituellen Belehrungen erhalten. Denn dieses
ist vollkommen klar: In solchen Veranstaltungen wird nicht wirklich
gelernt, sondern ein Übergang "gefeiert". Die körperlichen
Manipulationen hatten nun einen wichtigen, vermutlich den wichtigeren
Sinn: Sie veränderten die Gestalt des Initianden. Der Beschneidungsritus
gehört hierhin, aber in vielen ursprünglichen Kulturen
auch noch Formen der Tätowierung, des Abfeilens der Zähne
usw. Wenn man sich die Erlebnisqualität dieser Ereignisse
für die Betroffenen anschaut, dann wird ihre Bedeutung sinnfällig:
Entfernung aus der gewohnten Umgebung, schmerzhafte Manipulationen,
Belehrungen über die Zukunft lösen bei diesen Menschen
Ängste aus. Sie werden sichtbar verändert, sie werden
als die Menschen der vorangegangenen Lebensphase symbolisch getötet,
um als Veränderte in die Gemeinschaft zurückzukehren.
Sie sind andere geworden.
Markant formuliert: Der Mensch der Lebensphase
1 ist getötet und als Mensch der Lebensphase 2 wiedergeboren
worden. Genau genommen handelt es sich also um Riten von Tod und
Wiedergeburt, die die ewige Zyklizität des Lebens, des individuellen
wie des Lebens überhaupt, symbolisieren und vor allen Dingen
nachfühlbar machen. Dieses dramatische Todeserlebnis enthält
für die Betroffenen aber auch eine Tröstung: Sie sterben
nicht wirklich, sie überleben, ja sie überleben sogar
in einer Art "geläuterter" Form. Sie sind aufgestiegen,
sie sind "erwachsener" als vorher. Dem dramatischen
und schmerzhaften Todeserlebnis wird sein Schrecken durch die
Tröstung, das Versprechen eines neuen Lebens, genommen. Für
dieses Erlebnis der Sicherheit und Zuversicht sind die Menschen
bereit gewesen, erhebliche Einschränkungen, Schmerzen und
Fremdbestimmungen auf sich zu nehmen. Und: Die Gemeinschaft, in
die die Initiierten zurückkehren, billigt ihnen nunmehr neue
Rechte, die Rechte der neuen Lebensphase zu.
In der Verbindung der drei Elemente des
traditionellen zyklischen Lebenslaufs wird also seine Leistungsfähigkeit
deutlich: Eine relativ hohe Zahl nicht sehr langer Lebensphasen,
die als solche in ihrer Abfolge unumkehrbar und nicht wiederholbar
sind, verdeutlicht und nachfühlbar gemacht durch dramatische
Riten, die die Todestatsache erfahrbar machen und zugleich mit
ihr versöhnen. Am Ende steht immer das Leben.
Diese Verhältnisse haben sich nun im
historischen Verlauf, insbesondere der letzten zweihundert Jahre,
verstärkt aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
und hier insbesondere in den Industriegesellschaften, nachhaltig
geändert. Nichts ist in diesem Sinne mehr "in Ordnung".
Alles kann jederzeit geschehen, und am Ende steht nicht das Leben,
sondern der Tod, dieses wollen wir aber nicht wahrhaben.
Wie ist es dazu gekommen? - Vielleicht muß
man noch einmal auf das Bild der Lebenstreppe zurückkommen.
Einerseits enthielt es in seinem Auf und Ab noch die Vorstellung
vom Verfall, ohne aber die Tröstung der Zyklizität zu
enthalten. Aber bei diesem Bild ist es nicht geblieben. Die wissenschaftliche,
insbesondere psychologische Literatur des 20. Jahrhunderts skizziert
den Lebenslauf häufig nur noch als Aufstieg und unterschlägt
die Todestatsache gänzlich (vgl. die folgende Abbildung).
Dieser lineare Aufstieg als Muster des modernen
Lebenslaufs ist die konsequente Fortführung des christlichen
Bewährungsgedankens. Für die Christen war die naturalistische,