Arthur E. Imhof
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
Leben wir zu lange?
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Arthur E.Imhof


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Während die "Jungsenioren" seit Jahren angesichts ihrer stattlichen Zahl von zehn Millionen jedoch nicht mehr zu übersehen sind und wir diese Tatsache inzwischen wohl auch weitgehend zur Kenntnis genommen haben, so scheint mir das in bezug auf die "Hochbetagten" noch nicht der Fall zu sein. Wenn wir von "Alterslastigkeit unserer Gesellschaft", von "Überalterung", "Rentenproblemen", "Gefahren für den Generationen-Vertrag", "Grauen Panthern" oder auch nur von "Senioren-Treffpunkten" sprechen, dann denken wir meist an das "Dritte", kaum jedoch an das "Vierte Alter". So will ich hier denn auch nicht einmal mehr bereits offene oder zumindest aufgestoßene Türen einrennen und nicht ein weiteres Mal für einen "größeren Einsatz zugunsten unserer <älteren Menschen>" plädieren oder "Universitäten für das Dritte Alter" fordern, auch nicht vermehrtem "Alters-Sport" das Wort reden oder dem Slogan "Wer rastet, der rostet" huldigen. All das setze ich bei uns voraus. Ebenso wie ich es bei uns für selbstverständlich halte, daß ältere Menschen Anspruch auf wirtschaftliche Sicherstellung haben, auf gesundheitliche Versorgung, auf Befriedigung ihrer Wohnungsbedürfnisse. Wir hatten bei uns bereits Jahrzehnte Zeit, um uns mit der ganzen Palette von Problemen dieses Dritten Alters auseinanderzusetzen, Lösungsvorschläge auszuarbeiten, sie in die Tat umzusetzen, die getroffenen Maßnahmen - falls notwendig - abzuändern und zu verbessern. Und wo eine Realisierung selbst heute noch nicht vollzogen und nicht selbstverständlich sein sollte, wo sie nach wie vor umstritten oder angesichts "dringenderer" Probleme bei niedriger werdendem Haushaltsplafond gar gefährdet ist, scheint es mir nicht in erster Linie die Aufgabe des Historikers zu sein, hier für Abhilfe zu sorgen. Für mich handelt es sich hierbei um historische Probleme. Diejenigen, die sie wieder zu aktuellen machen möchten - seien es nun Politiker, Sozialfürsorger, Wirtschaftsfachleute - , sollten sich dies ebenfalls ins Stammbuch schreiben.

 

Es liegt mir fern, Bedenken von der Hand zu weisen, wonach die erreichten Ziele auch bei uns wieder gefährdet sein könnten, sei es wegen des zunehmenden Ungleichgewichts zwischen immer mehr Älteren und immer weniger jüngeren, sei es wegen des Abbaus von Fürsorgemaßnahmen als Folge von Beschneidungen im Sozialhaushalt. Dennoch scheint mir diese Sicht, wenn sie weitere Aspekte außer acht läßt, zu einseitig. Werden hierbei nicht die Leistungsmöglichkeiten von ausschließlich sozialen Diensten für die Alten überschätzt? Schlägt hier nicht unsere anerzogene Versorgungs- und Betreuungsmentalität durch? Selbstverständlich ist es einfacher, die materiellen Ansprüche von Senioren zu erkennen, abzuwägen und zu erfüllen, als ihre seelisch-geistigen Bedürfnisse zu befriedigen. Hier wird uns nicht selten unser sozialstaatlich ausgerichtetes Denken zum Hindernis. Es erzieht uns zu jenem sozialen Eudämonismus, der das Glück und die Sinnerfüllung des Einzelnen einzig in seiner Entlastung von wirtschaftlichen Sorgen, in einer möglichst maximalen Versorgung mit allen nur möglichen Konsumgütern, in einer existenzsichernden Rente bis zum letzten Atemzug, in alles und jedes einkalkulierenden Versicherungen, letztlich in einer allumfassenden materiellen Versorgung und Absicherung sieht. Hinzu kommt, daß er uns von sich abhängig macht. Abhängigkeit von den Leistungen des Sozialstaats bedeutet aber nicht mehr, sondern weniger innere Freiheit und innere Sicherheit.

Ein übers andere Mal haben wir festgestellt, daß es gerade ein heute dichter denn je gewobenes Sicherheitsnetz ist, das den Wandel von den ehemaligen Gemeinschaften zu unseren Gesellschaften von Einzelgängern erst ermöglichte. Solange wir in der Hektik des Berufs- oder Familienlebens stehen und auch noch solange wir uns des Konsumrausches erfreuen (können), mag das die "entsetzliche Leere" übertünchen, von der Hochbetagte sprechen, die jedem Aktivismus abgeschworen haben oder aus körperlichen Gründen abschwören müssen. Es mag unsere geistig-seelischen Bedürfnisse abtöten oder so weitgehend unterdrücken, daß es mit einem gelegentlichen Museums-, Theater- oder Konzertbesuch sein Bewenden haben kann.

Ich gehe somit bewußt von der ganz und gar erstmaligen, historisch gesehen völlig einmaligen Situation einer rasch zunehmenden Bevölkerung von "Hochbetagten" aus. Viele unter uns haben gute Aussichten, über kurz oder lang zu ihnen zu gehören. Schon jetzt ist es jede dritte Frau und jeder siebente Mann. Und die Tendenz ist steigend. Eine Minderheit? - Doch lassen wir die Statistiken hinter uns! Sie dienten uns auch oben nur als Kulisse. Statistiken bieten dem Einzelnen schließlich keine Gewähr dafür, daß gerade er oder sie zum "statistischen Durchschnitt" gehört. Allerdings läßt sich aufgrund statistischer Werte zuverlässiger einschätzen, inwiefern es sich lohnt, über damit verbundene Probleme, Chancen, Perspektiven nachzudenken. Und ob es sich lohnt! "Hochbetagte" sind keine Einzelfälle mehr, "sehr alte alleinstehende Frauen" nicht länger seltene Ausnahmen. Und anderswo auf der Weit folgen uns ganze Völker in dieser Entwicklung nach. Sie erwarten von uns, daß wir sie über bevorstehende Schwierigkeiten sowie deren Handhabung und Lösung aufklären. Sind wir dazu in der Lage?

 
           
 
 
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