Eine historische Ausstellung hat im Gegensatz zu anderen gattungsspezifischen Ausstellungstypen unterschiedlichstes Material zu ordnen. Sie setzt aus verschiedensten Techniken, Maßen und Inhalten das Mosaikbild einer Epoche zusammen. Die hier zu bewältigenden Dimensionen reichen vom Kleinsten zum Größten, von Bismarcks Bleistift bis zu einem Kolossalgemälde mit den Bildmaßen von 454 X 750 cm. Je heterogener die Objekte, desto ruhiger sollte die Gestaltung wirken. Sie wird zur Technik des Hintergrundes, die sich den Dingen einwebt. Die Vielfältigkeit der auszustellenden Materialien führt damit zu einer Ökonomie der tatsächlichen Schritte, zu einem Parallel-Lesen der Bilder und Objekte, die sich im Verständnis zusammenfügen. Rhythmen und Pausen unterstreichen die Abgeschlossenheit der Themen, betonen zugleich aber auch ihre Übergänge.

Die Gestaltung der Ausstellung "Bismarck - Preußen, Deutschland und Europa" gründet auf dem Prinzip der Entschlackung, der Immaterialisierung der Ornamentsprache des 19. Jahrhunderts. Sie verzichtet bewußt auf die Schau-Stellung der Objekte. Sie bemüht sich vielmehr um ein Ordnungsprinzip, das ihre Aussage verdichtet und ihre Transparenz erhöht, indem die historische Überlieferung in ihrer Gestalt "vor Augen geführt" wird. Wo die ausgestellten Objekte aussagefähig sind, müssen ihre Botschaft, ihre Wirkung im Raum nicht durch das Mittel der Inszenierung aufbereitet werden.

Die Fülle des heterogenen Materials würde die Wandfläche der Themenräume im Martin-Gropius-Bau sprengen. Die Ausstellungsarchitektur muß also mehr Fläche schaffen. Das Gestaltungsmittel des Labyrinths als Verwirrung der Dinge stünde dem Prinzip der Ordnung entgegen. Dem Besucher soll aber eine anschauliche Überschaubarkeit geboten werden. Als Ordnungsmittel der zu bewältigenden Vielfalt dient das Prinzip des Paravents. Der Paravent die mobile Wandverkleidung hat den Vorteil, nicht nur Objekte zu gruppieren, sondern ihre Aussagefähigkeit gemäß den Kapiteln der Raumthemen zu gliedern. Das dynamische Erzählmoment des Paravents soll jedoch nicht zwanghaft und langweilig werden. Daher wird der Paravent unterbrochen. Der Wechsel zwischen Paravent und Wand vollzieht sich dort, wo der Raum selbst aufgrund der Dramaturgie der Erzählung eine individuelle Gestaltung vorgibt. Zusätzliches Mittel der ordnenden Verdichtung ist die gewählte Farbigkeit, die zwischen monochromer und polychromer Sicht unterscheidet. Gerade das Ordnungsprinzip der Farbe wirkt dieser "unordentlichen Buntheit" des Gegenständlichen durch Polychromie entgegen.

Die Brüche - Wechsel der Paraventfelder, Wechsel der Farbigkeit im Raum - bestimmen die Rhythmen der Wahrnehmung. Sie wirken auf den Aufmerksamkeitspegel des Besuchers und machen ihn wach für ihre Inhalte. Vergrößerte Schriftzitatbilder von Bismarcks Hand verweisen auf die Segmente, die ihm biographisch gewidmet sind.

Die Mitte der Themenräume, der zentrale Lichthof, kann bei einer so großen Schau Synthese der "Ausstellung in der Ausstellung" sein und Leitmotive vereinen, die in den Räumen vertieft und wiederholt werden. Die leitmotivische Zusammenschau dient der Einstimmung und Einleitung. Die Kolossalformate der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts fordern räumliche Durchlässigkeit, verlangen Abstand und Sichtbezüge. Durch Auflösung des lichten Raumes in Passagen und Durchgänge sind sie in Dialog zueinander gesetzt, während die Höhe durch eine Rampe erschlossen werden kann, die bis zur Galerie im Obergeschoß führt. Dieser Ebenenwechsel gewährt wie eine filmische Chronologie Ausblick, Anblick, Durchblick und Überblick als parallele Wahrnehmung verschiedener Bildinformationen. Die Rampe führt den Besucher der Ausstellung auf einem ritualisierten Weg zu einer neuen Technik der Anschauung ihrer Mittel. Sie macht den im letzten Raum entwickelten "Mythos" plastisch, den Bismarck als nationale Kultfigur zu Lebzeiten genoß. Sie leitet den Besucher durch die Stationen der ihm gesetzten Denkmale. Dieser Ebenenwechsel erleichtert die Lesbarkeit der Aussage, ohne ein anderes Ausstellungssystem zu erfordern. Zugleich aber neutralisiert er das Pathos, indem er es optisch durchbricht.

Am Haupteingang richtet der Torso eines Bismarck-Denkmals von Reinhold Begas die Blickachse auf die Ausstellung aus. Als Fokus dieses Brennspiegels lenkt die Figur den Blick von außen auf die Durchleuchtung ihrer Historizität nach innen. Die gerasterte Augenpartie an der Schwelle zum Eingang lädt in Verbindung mit dem Titel den Besucher zur Auseinandersetzung mit dem hochdramatischen Stoff im Martin-Gropius-Bau ein.

Boris Podrecca

Der >>Weg<< im Lichthof (Modellstudie)
Der "Weg" im Lichthof Modellstudie
Detail des Aufgangs (Lichthof-Galerie)
Detail des Aufgangs (Lichthof-Galerie)
Axonometrie
Axomometrie
Elementierung der Ausstellung
Elementierung der Ausstellung
Studie zum Gesamtkonzept
Studie zum Gesamtkonzept