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    Abzeichen gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages, 1935

> NS-Regime

Die NS-Außenpolitik

Die Überwindung der politischen Isolation war zunächst vorrangiges Ziel der nationalsozialistischen Außenpolitik. Die personelle Kontinuität im Auswärtigen Amt nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 sollte den Eindruck erwecken, das NS-Regime würde sich in das Gefüge der europäischen Mächte einordnen. Tatsächlich aber ging die von Adolf Hitler angestrebte expansive deutsche Außenpolitik weit über die von den meisten Deutschen geforderte Revision des Versailler Vertrages hinaus. Hitler strebte die deutsche Vormachtstellung in Europa an und wollte Deutschland als Weltmacht etablieren. Während das Deutsche Reich öffentlich den Frieden propagierte, sollte es gezielt für einen geplanten Krieg militärisch aufgerüstet und wirtschaftlich autark werden. Außenpolitische Erfolge stärkten das nationale Selbstbewusstsein der Deutschen und steigerten Hitlers Popularität.

Neue Ausrichtung der Außenpolitik

Bereits am 3. Februar 1933 erhob Hitler in einer Geheimrede vor den ranghöchsten Offizieren der Reichswehr die Forderung, das Deutsche Reich müsse neuen "Lebensraum im Osten" erobern und diesen "rücksichtslos germanisieren". Aus diesem Grund besaßenBB die schnelle Aufrüstung und die Wiedererlangung der militärischen Stärke Deutschlands höchste Priorität. Zur Beruhigung des durch die NS-Machtübernahme aufgeschreckten Auslandes reklamierten Hitler und Reichsaußenminister Konstantin Freiherr von Neurath in der Öffentlichkeit lediglich das Selbstbestimmungsrecht für Deutschland. Hierfür konnten sie auf Verständnis vor allem in Großbritannien hoffen, mit dem Hitler ein enges Bündnis anstrebte. Sein Bestreben galt der "Aufteilung der Welt" zwischen Deutschland als bestimmender Kontinentalmacht und Großbritannien als führender Seemacht.

Um der drohenden Isolation nach der Machtübernahme zu entgehen, waren die außenpolitischen Schritte stets von Friedensbeteuerungen Hitlers begleitet. Gleichzeitig sollten bilaterale Verträge vertrauensbildend wirken. Am 5. Mai 1933 ratifizierte Deutschland die Verlängerung des 1926 mit der Sowjetunion abgeschlossenen Berliner Vertrags. Das am 20. Juli 1933 unterzeichnete Konkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan nutzte der NS-Staat, um seine Kirchenfeindlichkeit zu kaschieren. Mit der vom NS-Regime im Mai 1933 aus taktischen und nicht zuletzt aus wirtschaftspolitischen Gründen eingeleiteten Annäherung an Polen begann die Abkehr von der deutschen Ostpolitik der Weimarer Republik. Der deutsch-polnische Nichtangriffspakt vom 26. Januar 1934 markierte einen radikalen Bruch mit der seit 1919 gegen Polen gerichteten Revisionspolitik. Die Presse wurde angewiesen, über die Unterdrückung der deutschen Minderheit in Polen nicht mehr zu berichten. Der in der Bevölkerung beider Staaten mit Erstaunen zur Kenntnis genommene Vertrag sowie die beiderseitige Beendigung der Pressepropaganda waren zugleich Ausdruck des Kurswechsels auch in der polnischen Außenpolitik. Die in Warschau vor allem von Außenminister Jozef Beck (1894-1944) verfochtene Entspannungspolitik belebte die deutsch-polnischen Wirtschafts- und Kulturkontakte merklich.

Während die kommunistische Sowjetunion zur Überwindung ihrer außenpolitischen Isolation im September 1934 dem Völkerbund beitrat, hatte das nationalsozialistische Deutschland ein knappes Jahr zuvor den entgegengesetzten Schritt unternommen: Mit dem deutschen Austritt aus dem Völkerbund im Oktober 1933 sollten wirkungsvolle internationale Rüstungsbeschränkungen und Kontrollen verhindert und die Aufrüstung forciert werden. Mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht am 16. März 1935 hob das Deutsche Reich sämtliche militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrages auf. Auf diesen einseitigen Vertragsbruch reagierten Großbritannien, Frankreich und Italien mit einer gemeinsamen Verurteilung und der Bildung der sogenannten Stresafront, die jedoch am 18. Juni 1935 mit dem deutsch-britischen Flottenabkommen schon wieder zerbrach. Großbritannien unterzeichnete trotz der Bevorzugung multilateraler Abkommen den bilateralen Vertrag mit Deutschland, um ein Wettrüsten wie vor dem Ersten Weltkrieg zu verhindern. Hitler und sein Sonderbevollmächtigter Joachim von Ribbentrop erkannten in dem Flottenabkommen hingegen die erste Etappe eines angestrebten, umfassenden deutsch-britischen Bündnisses.

Außenpolitische Erfolge

Ein weiterer Erfolg für Hitler war die Saarabstimmung im Januar 1935 mit der überwältigenden Zustimmung der Bevölkerung des Saarlandes zur Rückkehr ins Reich. Auch die für Deutschland sportlich höchst erfolgreichen Olympischen Spiele 1936 in Berlin erhöhten Hitlers Popularität im Reich, aber auch im Ausland. Als Hitlers Werben um ein enges Bündnis mit Großbritannien jedoch ohne Erfolg blieb, sah er ein, dass er seine außenpolitischen Ziele möglicherweise gegen britische Interessen erreichen müsse. Stattdessen wurden die ab 1933 angestrebten intensiven Verbindungen mit dem faschistischen Italien von Erfolg gekrönt. Nach einer Phase der deutsch-italienischen Annäherung und dem gemeinsamen Eingreifen im Spanischen Bürgerkrieg gegen die "bolschewistische Gefahr" in Europa wurde im November 1936 die "Achse-Berlin-Rom" proklamiert. Im selben Monat schlossen das Deutsche Reich und Japan den gegen die Sowjetunion gerichteten Antikominternpakt ab.

Nach der Konsolidierung des NS-Regimes intensivierte Hitler - wie mit dem Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland im März 1936 - den außenpolitischen Konfrontationskurs und drohte zunehmend mit militärischer Gewalt. Um Deutschlands Einfluss in Ost- und Südosteuropa zu vergrößern, marschierten am 12. März 1938 deutsche Truppen in Österreich ein. Wenig später stimmte zur Verminderung der Kriegsgefahr auch Großbritannien dem "Anschluss" Österreichs zu. In einer Volksabstimmung am 10. April votierten schließlich offiziell jeweils über 99 Prozent der Deutschen und Österreicher für die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich.

Propagandaminister Joseph Goebbels verstärkte nun die "Heim ins Reich"-Kampagne, die unter Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker den Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich vorsah. Gezielt förderte die deutsche Propaganda bestehende Spannungen zwischen den 3,5 Millionen Sudetendeutschen und dem tschechoslowakischen Staat. Zur Verhinderung eines Kriegs in Europa unterzeichneten Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland am 30. September 1938 das Münchner Abkommen, das die Tschechoslowakei zur Räumung aller sudetendeutschen Gebiete zwang. Hitler erklärte jetzt zwar öffentlich, er habe keine weiteren territorialen Forderungen. Nach der Besetzung des Sudetengebietes setzte er seine Annexionspläne und Kriegsvorbereitungen aber unbeirrt fort. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Prag am 15. März 1939 erfolgte die "Zerschlagung der Rest-Tschechei", Böhmen und Mähren wurden deutsches "Reichsprotektorat", die nun völkerrechtlich souveräne Slowakei ein deutscher Satellitenstaat. Am 23. März 1939 marschierten Wehrmachtseinheiten zudem ins litauische Memelgebiet ein. Durch einen Rückgabevertrag mit Litauen wurde das durch den Versailler Vertrag abgetretene und seit 1923 unter litauischer Verwaltung stehende Memelland wieder Bestandteil des Deutschen Reiches.

Der Schulterschluss mit der Sowjetunion

Die deutsche Führung verkannte allerdings im Triumph ihrer außenpolitischen Erfolge die Grenzen der bisherigen "Appeasement-Politik". Großbritannien und Frankreich hatten Deutschland lange gewähren lassen, ein verlustreicher Krieg wie 1914-1918 sollte unter allen Umständen verhindert werden. Doch sie waren nicht bereit, die Expansionsgelüste Hitlers weiterhin tatenlos zu dulden. Um ihn von weiteren kriegerischen Schritten abzuhalten und um die deutsche Machtausdehnung einzudämmen, garantierten die Westmächte im Frühjahr 1939 die Unabhängigkeit des polnischen Staates. Dennoch erklärte Hitler am 23. Mai 1939 vor den Oberbefehlshabern der Wehrmacht, Polen militärisch niederwerfen zu wollen. Die Voraussetzungen dafür schuf er am 23. August 1939 mit dem im Ausland für kaum möglich gehaltenen deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag. Der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt mit einem geheimen Zusatzprotokoll, das die Aufteilung Polens zwischen Deutschland und der Sowjetunion regelte, ermöglichte beiden Staaten, Krieg gegen Polen zu führen, ohne die jeweiligen Interessensphären des Vertragspartners zu tangieren. An Hitlers eigentlichem außenpolitischen Ziel - der Gewinnung von "Lebensraum" im Osten - änderten das taktische Bündnis mit der Sowjetunion und der Beginn des Zweiten Weltkriegs allerdings nichts.

Claudia Prinz
14. September 2014

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