In den Jahren nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten verließen einige Tausend Menschen das Deutsche Reich. Zentren der Zuflucht bildeten sich zunächst in Prag und London, die größte Zahl an Exilantinnen und Exilanten aus dem Deutschen Reich ging nach Frankreich, das auch kulturell und politisch das wichtigste Aufnahmeland wurde. Das Nachbarland bot sich an, da es leicht zu erreichen war und sich auch eine erhoffte Rückkehr vergleichsweise unproblematisch hätte bewerkstelligen lassen. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Autorinnen und Autoren lebten damals vorrangig in Paris, für die literarische Szene war auch das Dorf Sanary-sur-Mer an der Côte d'Azur ein wichtiger Ort. Eine politisch oder sozial homogene Gruppe bildeten die Geflüchteten nicht, verbunden hat sie vielfach die gemeinsame Opposition zum Nationalsozialismus, auch wenn sie vormals teils unpolitisch gewesen waren.
Nur eine sehr geringe Zahl der Emigrierten konnte in den zuvor ausgeübten Berufen arbeiten, eine Integration in den französischen Arbeitsmarkt gelang fast nie. Viele Geflüchtete hatten keine oder kaum Ersparnisse, keine französischen Sprachkenntnisse, keine Beziehungen. Der Jurist Fred Stein, der 1933 mit seiner Ehefrau Liselotte (1910–1997) nach Paris geflohen war, musste sich einen neuen Broterwerb suchen und wurde Fotograf – kein Einzelfall. Der Großteil der Geflüchteten kam nicht aus einem künstlerischen, intellektuellen Milieu. Die freien Berufe machten nur knapp 13% aus. Drei Jahre nach Machtantritt der Nationalsozialisten bestand die größte Gruppe (mit fast einem Drittel) der anerkannten deutschen Emigrantinnen und Emigranten aus kaufmännischen und technischen Angestellten. Arbeiter und Arbeiterinnen machten 16% aus. Die meisten wurden als Juden und Jüdinnen verfolgt. Über ihre Biografien und Schicksale ist wenig und oftmals nichts bekannt. In ihrem Text „Wir Flüchtlinge“ fasste Hannah Arendt die Situation mit Blick auf die als jüdisch Verfolgten später so zusammen: „Als Flüchtling hatte bislang gegolten, wer aufgrund seiner Taten oder seiner politischen Anschauungen gezwungen war, Zuflucht zu suchen. Es stimmt, auch wir mussten Zuflucht suchen, aber wir hatten vorher nichts begangen, und die meisten unter uns hegten nicht einmal im Traum irgendwelche radikalen politischen Auffassungen. Mit uns hat sich die Bedeutung des Begriffs ‚Flüchtling‘ gewandelt. ‚Flüchtlinge‘ sind heutzutage jene unter uns, die das Pech hatten, mittellos in einem neuen Land anzukommen, und auf die Hilfe der Flüchtlingskomitees angewiesen waren.“
Insgesamt kamen zwischen 1933 und 1939 rund 100.000 deutsche oder deutschsprachige Emigrantinnen und Emigranten nach Frankreich. Viele von ihnen hielten sich allerdings nicht dauerhaft auf, die Zahl der dort lebenden Deutschen lag pro Jahr bei ungefähr 20.000. Unter ihnen befanden sich noch heute bekannte Personen wie Anna Seghers, Walter Benjamin und Alfred Döblin, dem es allerdings gelungen war, die französische Staatsangehörigkeit zu erlangen. Andere, wie der Schriftsteller Iwan Heilbut (1898-1972), sind weitgehend in Vergessenheit geraten.
Organisationen und Infrastruktur
Die Künstlerinnen und Künstler, Politiker und Intellektuellen stellten zwar eine Minderheit im Kreis der Geflüchteten und Verfolgten dar, ihre politischen und kulturellen Aktivitäten jedoch machten Frankreich in dieser Hinsicht zu einem der wichtigsten Aufnahmeländer. So nahmen an dem vor allem von französischen Autoren wie André Gide (1869-1951) und André Malraux (1901-1976) als Reaktion auf das nationalsozialistische Deutschland ausgerufenen internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur 1935 in Paris viele prominente deutschsprachige Autoren wie Lion Feuchtwanger oder Bertolt Brecht teil. Der Kongress zog rund 3000 Zuschauer und Zuschauerinnen an. Als sichtbarer Ausdruck des Protests und der Solidarität stärkte er die Entschlossenheit vieler Anwesenden. Die Zusammensetzung der Delegierten war jedoch zu unterschiedlich, um sich auf ein arbeitsfähiges Programm zu einigen.
Bemerkenswert war auch der Versuch, die verschiedenen politischen Lager in einer deutschen Volksfront zusammenzuschließen. Der Begriff „Volksfront“ bezog sich seit der Weimarer Republik auf Bündnisse unterschiedlicher Parteien und Gruppierungen im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Vor diesem Hintergrund und inspiriert von der französischen linken Volksfrontbewegung wurde Anfang 1936 im Pariser Hotel Lutetia der Ausschuss zur Vorbereitung der Deutschen Volksfront gegründet. Der Versuch, die unterschiedlichen politischen Positionen im Exil zusammenzubringen, scheiterte jedoch aufgrund ideologischer Differenzen, etwa im Verhältnis zur Sowjetunion.
Zu den Aktivitäten gehörten auch Verlagsgründungen, die Herausgabe von Zeitschriften und das Erstellen von Tarnschriften. Exilpublikationen und -verlage entstanden nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten zunächst vor allem in Nachbarstaaten Deutschlands, meist in Frankreich. Allein in Paris gab es fünf Emigrantenbuchhandlungen, die Veröffentlichungen dieser Verlage anboten. Viele der häufig kurzlebigen Presseerzeugnisse richteten sich auch an die Öffentlichkeit des Gastlands. Tarnschriften, die sich an den deutschen Widerstand richteten, enthielten Beiträge namhafter Autorinnen und Autoren, gelangten aber nicht immer nach Deutschland.
Daneben wurde auch die Verbandsarbeit nicht vernachlässigt. Unter dem Vorsitz von Georg Bernhard (1875-1944), einem prominenten Zeitungsmacher der Weimarer Republik, waren im 1933 gegründeten Verband deutscher Journalisten in der Emigration Mitglieder mit unterschiedlichen politischen Positionen vertreten. Konflikte führten auch hier zu Spaltungen. 1938 gründete der Verband mit anderen Exilverbänden in Frankreich das Deutsche Kulturkartell, eine Dachorganisation, um in kulturellen Fragen ein einheitliches Vorgehen abzustimmen. Die zahlreichen deutschen Publikationen, die Buchhandlungen, Verbände, Verlage und Kabaretts machten Frankreich zu einem kaum vergleichbaren Exilort. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren das kulturelle Angebot und die Infrastruktur für die deutschsprachigen Exilantinnen und Exilanten einzigartig in Europa.
Flucht aus Europa
Der Ausbruch der Kampfhandlungen gegen Frankreich bedeutete für die ins Land geflüchteten Deutschen einen tiefen Einschnitt. Doch schon zuvor war Frankreich für viele Emigrierte aufgrund ihrer politischen und wirtschaftlichen Lage zu einer Durchgangsstation geworden. Die Asylpolitik war immer restriktiver geworden, wenigen gelang die Einbürgerung, neben ungünstigen Aufenthaltsregelungen waren auch die Arbeitsmöglichkeiten sehr eingeschränkt. Ende 1938 wurde die gesetzliche Grundlage geschaffen, sogenannte „unerwünschte Ausländer“ zu internieren. Im September 1939 wurden mehr als 20.000 Menschen in Lager gebracht. Nach der Westoffensive der deutschen Wehrmacht gegen Frankreich 1940 kam es zu weiteren Internierungen von Männern und Frauen in südfranzösische Lager, vielen gelang nach dem Waffenstillstand im Juni 1940 die Flucht. Marseille wurde zu einem wichtigen Anlaufpunkt, da hier viele Hilfsorganisationen wie das Emergency Rescue Committee wirkten, die unter anderem halfen, über die Grenze nach Spanien zu kommen und nötige Papiere auszustellen. Unter den Flüchtlingen herrschte große Angst, in Spanien inhaftiert oder durch deutsche Geheimdienste entführt zu werden, doch es gab kaum eine Alternative, um nach Portugal und von dort nach Übersee zu gelangen. Spanien hatte sich im Krieg für neutral erklärt, mit einem Visum für Portugal war die Einreise nach Spanien legal. Eine andere Möglichkeit bestand darin, von Marseille aus Europa mit einem Schiff zu verlassen.
Anna Seghers, Heinrich Mann, Fred Stein, Iwan Heilbut und vielen anderen gelang mit Hilfe des amerikanischen Journalisten Varian Fry (1907-1967) und dem Emergency Rescue Committee die Flucht. Anna Seghers beispielsweise kehrte 1947 aus ihrem Exil in Mexiko zurück und ging schließlich in die DDR. Iwan Heilbut kam aus den USA zurück und starb, nach allem, was man weiß, ohne festen Wohnsitz 1972 in Bonn. Der Autor und Arzt Alfred Döblin war über Portugal nach Los Angeles entkommen und kehrte nach dem Krieg ebenfalls zurück nach Europa, er arbeitete als Literaturinspekteur der französischen Militärverwaltung in Baden-Baden, lebte in Mainz, verließ jedoch bald die Bundesrepublik und zog wieder nach Paris. Nach seinem Tod 1957 wurde er in Frankreich neben seinem Sohn Wolfgang beigesetzt, der als Mitglied der französischen Armee auf der Flucht vor der Wehrmacht 1940 Suizid begangen hatte.