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    "Urteil des Paris", 1939

> NS-Regime

NS-Kunst und Kultur

Die Nationalsozialisten hatten für die als dekadent empfundene Kultur der Moderne nur tiefe Verachtung übrig. Avantgardistische Stilrichtungen in der Kunst lehnten sie pauschal als „undeutsch“ und „typisches Judenprodukt“ ab. Das NS-Regime bekämpfte alles „Artfremde“ in der Kunst und förderte eine „sittliche Staats- und Kulturidee“. Kunst und Kultur waren seit 1933 nicht mehr autonom, sondern sie standen im Dienst von Staat, Volk und Rasse. Makellose Frauen und Männer dienten den Nationalsozialisten als Propaganda für die Ästhetik des nordischen Menschen. Sie symbolisierten Schönheit, Reinheit, Anmut und Stärke und sollten die Überlegenheit des „arischen Herrenvolkes“ demonstrieren. Während moderne Kunstrichtungen in der Weimarer Republik weitgehend auf Unverständnis und Ablehnung gestoßen waren, erhielt die NS-Kunst breite Zustimmung in der Bevölkerung. Trotz der angekündigten „neuen Kunst“ brachte die NS-Zeit in Form und Stil aber kaum originäre Werke hervor. Im wesentlichen knüpfte die NS-Kunst an die an Tradition und Geschichte orientierte Heimatkunst des Kaiserreiches an.

Nationalsozialistische Kulturpolitik

"Kunst ist immer die Schöpfung eines bestimmten Blutes, und das formgebundene Wesen einer Kunst wird nur von Geschöpfen des gleichen Blutes verstanden", schrieb Alfred Rosenberg in seinem 1930 erschienenen Buch "Der Mythus des 20. Jahrhunderts". Eine in der ganzen Welt beheimatete "Kunst an sich" lehnte er strikt ab. Als Führer des 1929 gegründeten "Kampfbund für deutsche Kultur" hetzte er gegen die abstrakte, experimentierfreudige Moderne und amerikanische Kultureinflüsse wie den "Niggerjazz". Rosenberg propagierte die von Adolf Hitler 1924 in seinem Buch "Mein Kampf" beschworene "sittliche Staats- und Kulturidee", die sich auf die "rassische Substanz" des Volks und auf ein die Bildhauerei, Malerei, Architektur, Literatur, Musik und den Film umfassendes, ästhetisch gestaltendes Schaffen gründen sollte.

Nach der gewaltsamen „Entfernung" jüdischer, kommunistischer, liberaler und anderer „unerwünschter" Künstler aus öffentlichen Ämtern sowie der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz wurde bereits in den ersten Monaten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten deutlich, dass die Vielfalt der Kunst und Kultur der Weimarer Republik unwiderruflich zu Ende war. Abgelehnt und verfolgt wurde die avantgardistische, großstädtische Kunst- und Kulturszene, die als „artfremd" galt. Die am 22. September 1933 gegründete Reichskulturkammer hatte unter dem Vorsitz von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels für die Neuordnung des künstlerischen Schaffens zu sorgen. Sie diente der Organisation, Gleichschaltung und Überwachung des gesamten deutschen Kunst- und Kulturlebens: Ihre zentrale Steuerung umfasste Bildende Kunst, Architektur, Film, Theater, Literatur, Musik, Presse und Rundfunk. Wer nicht „arischer“ Abstammung war oder mit seinen Werken in Widerspruch zu der offiziellen NS-Kulturpolitik stand, durfte seinen Beruf nicht weiter ausüben.

Audio: Rede von Joseph Goebbels zu "Malerei und Sport" anlässlich des Internationalen Kunstwettbewerbes während der Olympischen Spiele, 31. Juli 1936
© Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv

Bildende Kunst

Die prominentesten NS-Bildhauer Arno Breker und Josef Thorak (1889-1952) schufen idealisierte Monumentalfiguren muskulöser Männer nach Vorbild der klassischen Antike. Weibliche Aktbilder standen im Mittelpunkt der Malerei. Weitere bevorzugte Motive waren Landschaften, Stillleben, das Arbeitsleben der Menschen in Landwirtschaft und Industrie, Soldaten und Schlachten sowie kinderreiche Familien. Viele Maler mystifizierten in ihren Gemälden eine auf unvergängliche Werte, Tradition und vorindustrielles Kleinbauerntum gründende Blut- und Bodenideologie. Großen Anteil an der NS-Kunst nahmen Bilder von Adolf Hitler sowie von Kundgebungen und Feierlichkeiten des NS-Regimes ein. Die Gemälde waren Ausdruck der von den Nationalsozialisten propagierten Gemeinschaft von „Führer, Volk und Reich“. Sie wurden seit 1937 jährlich im „Haus der Deutschen Kunst“  auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ präsentiert. Demgegenüber erging 1936 ein totales Verbot jeglicher Kunst der Moderne. Der NS-Staat ließ Bilder und Skulpturen in den Museen beschlagnahmen, in das Ausland verkaufen oder zerstören, 650 konfiszierte Werke verfemter Künstlern zeigte 1937 die Ausstellung „Entartete Kunst“ in München. Maler, Schriftsteller und Komponisten erhielten - soweit sie nicht emigriert waren - Arbeits- und Ausstellungsverbot. Die Künstlerin Käthe Kollwitz blieb in Deutschland – bei ihrer regimekritischen Haltung. Sie drückte mit ihrer Plastik „Turm der Mütter" 1938 die Bedrohung aus, die vom NS-Regime für die Bürger ausging.

Alltags- und Unterhaltungskultur

Die bunte Vielschichtigkeit des kulturellen Lebens mit Menschen ganz unterschiedlicher Nationalität war 1933 unwiederbringlich dahin. Zwar feierten die Menschen in Berlin, Hamburg und anderen deutschen Großstädten auch danach wilde Nächte, doch beschwingte Leichtigkeit, pure Lebensfreude und künstlerische Freiheit waren auf der Strecke geblieben. Der in der Weimarer Republik begonnene Trend zur Massenkultur und Massenunterhaltung setzte sich nach 1933 aber unvermindert fort und umfasste alle Formen kulturellen oder sportlichen Lebens. Durch den Rundfunk oder die Wochenschau konnte der Sport einem Millionenpublikum übermittelt werden. Der berühmteste deutsche Sportler Max Schmeling genoss weltweite Popularität und in Deutschland den Status einer nationalen Identifikationsfigur. Millionen Menschen verfolgten an den Radiogeräten seine Kämpfe oder jede Woche die Fußballspiele in den verschiedenen Gauligen. Der Fußball mobilisierte Massen, vor allem im Ruhrgebiet. Populärste Mannschaft in Deutschland war die traditionsreiche „Arbeiterelf" von FC Schalke 04, sechs ihrer sieben Deutschen Meisterschaften fielen in die Zeit des NS-Regimes. Die intellektuellenfeindlichen Nationalsozialisten feierten die Erfolge von Schalke 04 mit seinen Idolen Ernst Kuzorra (1905-1990) und Fritz Szepan (1907-1974) stets propagandistisch als „Sieg der Arbeiterklasse".

Der „Verschönerung" des Alltagslebens dienten vor allem der Rundfunk und der Film. Gleichzeitig setzte Goebbels beide Medien gezielt zur Verbreitung von Massenpropaganda ein. Zwischen 1932 und 1939 verdreifachte sich die Zahl der Rundfunkteilnehmer – besonders durch den massenhaften Verkauf des kostengünstigen Volksempfängers – von vier auf zwölf Millionen. Der Film war nach Ansicht von Goebbels „eines der modernsten und weitreichendsten Mittel zur Beeinflussung der Masse". In der Saison 1934/35 gingen rund 250 Millionen Menschen in die Kinos, fünf Jahre später waren es eine Milliarde Kinobesucher jährlich. Politische Propagandafilme oder propagandistische Rundfunksendungen waren dabei eindeutig in der Minderheit. Dem verbreiteten Unterhaltungsbedürfnis wurde von den Nationalsozialisten in beiden Medien bereitwillig Rechnung getragen. Um einer aus Überdruss von der Propaganda resultierenden Abwendung der Hörer entgegenzuwirken, boten die Rundfunkprogramme überwiegend Unterhaltungsmusik und Tanzschlager. Auch Swing und Jazz wurden geduldet, wenn die Herkunft als „artfremde Niggermusik" verleugnet wurde und sie „deutsch verpackt" als „stark rhythmische Musik" liefen. Für die Radiosendungen und besonders für das ab 1935 gesendete „Wunschkonzert für das Winterhilfswerk" wurden berühmte Solisten wie Heinz Rühmann oder Marika Rökk aus Unterhaltungsfilmen verpflichtet. Das filmbegeisterte Publikum konnte im Jahr zwischen rund 100 Komödien, Liebes- oder Abenteuerfilmen auswählen und neben Rühmann und Rökk weitere beliebte Stars der 1930er Jahre wie Heinrich George, Hans Albers, Zarah Leander, Emil Jannings, Lil Dagover, Lilian Harvey, Kristina Söderbaum, Otto Gebühr, Willy Birgel, Willy Fritsch, Hans Moser, Hans Söhnker (1903-1981) oder Erich Ponto (1884-1957) erleben.

Emigration

Andere berühmte Schauspieler und Regisseure wie Marlene Dietrich oder Fritz Lang hatten es vorgezogen, aus Deutschland zu emigrieren. Zahlreiche deutsche Intellektuelle, Künstler oder Literaten wie Thomas Mann, sein Bruder Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger oder Arnold Zweig gingen in die Emigration. Ihre für die Nationalsozialisten "staatsgefährdenden" oder mit der nationalsozialistischen Weltanschauung unvereinbaren Werke wurden von der Zensur verboten. Andere Autoren wie Hans Fallada oder Ricarda Huch blieben in Deutschland und durften weiter veröffentlichen, obwohl sie dem NS-Regime distanziert gegenüberstanden. Sie suchten wie andere daheimgebliebene Schriftsteller wie Werner Bergengruen, Elisabeth Langgässer (1899-1950), Marie Luise Kaschnitz (1901-1974), Reinhold Schneider (1903-1958) oder Frank Thieß (1896-1977) einen Rückzug ins Private und - wie es Thieß 1933 für die in Deutschland verbliebenen Literaten und Künstler ausdrückte - die "innere Emigration". Nach 1945 führte dieser Begriff zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Exilierten, die für sich in Anspruch nahmen, das "wahre Deutschland" repräsentiert zu haben.

Arnulf Scriba
13. August 2015

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