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Die Juli-Krise 1914

Vor dem Berliner Schloss versammelten sich am Nachmittag des 1. August 1914 Tausende von Menschen, um den Ablauf eines deutschen Ultimatums an Russland mitzuerleben. Seit Mitte Juli 1914 hatte die Spannung nicht nur im politischen Machtzentrum Berlin, sondern in ganz Deutschland und Europa spürbar zugenommen, ob die politische Krise zu einem militärischen Konflikt eskalieren werde. Als gegen 17 Uhr des ersten Augusttages schließlich die deutsche Mobilmachung verkündet wurde und wenig später die Kriegserklärung an Russland erfolgte, löste sich deutschlandweit die angespannte Ungewissheit der vorangegangenen Wochen auf: Der seit dem Attentat auf den österreich-ungarischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo am 28. Juni 1914 drohende Krieg sollte nun beginnen.  

Das Attentat auf das österreichisch-ungarische Thronfolgerpaar hatte international Bestürzung ausgelöst. Da es begründete Hinweise für eine Beteiligung des serbischen Geheimdienstes an dem Mordkomplott gab, drängten Politiker und Militärs der k.u.k-Monarchie auf einen Militärschlag gegen den Nachbarstaat. Dazu versicherten sie sich der Unterstützung des Deutschen Reiches. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg und Kaiser Wilhelm II. sagten Anfang Juli 1914 dem österreich-ungarischen Gesandten zu, ihrem Bündnispartner in einem Krieg gegen Serbien beizustehen. Deutschland wollte die Donaumonarchie als letzten Verbündeten nicht verlieren. Das Kalkül des Generalstabs und der Reichsregierung ging aber über den Konflikt auf dem Balkan hinaus. Der Krieg zwischen Serbien und Österreich-Ungarn sollte zum Testfall für das internationale Bündnissystem werden: Würde der Balkanstaat militärische Hilfe von seiner Schutzmacht Russland erhalten? Und würden auch die mit Russland verbündeten Großmächte Frankreich und Großbritannien in den Krieg eingreifen? Die Diplomaten aller Staaten wussten um das Risiko, das durch das Bündnissystem von der lokalen Auseinandersetzung ausging.

In enger Absprache mit ihrem deutschen Verbündeten stellte die Doppelmonarchie am 23. Juli Serbien ein zweitägiges Ultimatum, dessen Forderungen bewusst unannehmbar waren. So verlangte Österreich-Ungarn von der Regierung in Belgrad nicht nur die Auslieferung aller Personen, die das Attentat auf das Thronfolgerpaar unterstützt hatten, sondern auch freie Hand für Ermittlungen in Serbien. Dieser Eingriff in die staatliche Souveränität war für Serbien nicht akzeptabel. Nachdem Österreich-Ungarn weitere Vermittlungsversuche der anderen Großmächte abgelehnt hatte, erklärte es Serbien am 28. Juli den Krieg. Daraufhin mobilisierte Russland am 29. Juli seine Armee gegen Österreich-Ungarn, das wiederum am 31. Juli die Generalmobilmachung bekanntgab.

Parallel zu den Mobilmachungen gab es hektische Versuche, eine weitere Eskalation auf diplomatischem Weg abzuwenden. Keine der an dem sich abzeichnenden europäischen Krieg beteiligten Mächte wollte als Aggressor erscheinen. Zugleich galt es, eigene Stärke zu demonstrieren, jeder Staat fürchtete einen Prestigeverlust durch eine zu nachgiebige Haltung. Keine Regierung wusste, welchen Schritt der potentielle Gegner als nächstes unternehmen würde - und so wollte jeder Staat auf alle Eventualitäten vorbereitet sein, um keine strategischen Nachteile im Falle einer zu späten Mobilisierung der eigenen Streitkräfte zu haben. Besonders im Deutschen Reich beeinflussten vermeintliche militärische Sachzwänge die politischen Entscheidungen.

Das Deutsche Reich verkündete am 31. Juli den „Zustand der drohenden Kriegsgefahr“ und forderte Russland auf, die Mobilmachung seiner Armee innerhalb von 12 Stunden zu stoppen. Da dies nicht geschah, erklärte es dem Zarenreich am folgenden Tag den Krieg. Damit war die Ausweitung des Konflikts absehbar, denn Frankreich hatte signalisiert, seinen Bündnispflichten gegenüber Russland nachzukommen. Der vom Generalstab entwickelte Plan für einen Zweifrontenkrieg sah zunächst den raschen Aufmarsch der deutschen Truppen im Westen vor. So folgte am 3. August die Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Frankreich. Die strategisch-operativen Vorgaben der deutschen Verbände sahen einen Vorstoß über Belgien nach Frankreich vor. Mit dem Überfall auf das neutrale Belgien begründete Großbritannien seinen Kriegseintritt an der Seite von Frankreich und Russland am 4. August.

In ganz Europa verfolgten die Menschen gebannt, wie sich der drohende Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien innerhalb weniger Tage zu einem gesamteuropäischen Krieg ausweitete. Sonderausgaben von Zeitungen und offizielle Bekanntmachungen informierten über die dramatischen Ereignisse. Aufgrund des in allen Staaten vorherrschenden Nationalismus und einer geschickten staatlichen Propaganda waren die meisten Menschen davon überzeugt, dass ihnen der Krieg von den jeweils feindlichen Staaten aufgezwungen worden sei. Den auf Maueranschlägen und in Extrablättern verkündeten Mobilmachungen leisteten die jungen Männer deshalb bereitwillig Folge.

Andreas Mix
1. September 2014

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