Nachdem das russische Kaiserreich 1914 an der Seite Großbritanniens und Frankreichs in den Ersten Weltkrieg eingetreten war, verschärften sich die inneren sozialen, wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen des Landes. Die anfängliche Unterstützung des Zaren in der Bevölkerung war längst zunehmenden Protesten und Streiks gegen die Fortsetzung des Krieges und die schlechte Versorgungslage gewichen, bevor sich 1917 die Lage zuspitzte: Das Land erlebte zwei Revolutionen und anschließend einen mehrjährigen Bürgerkrieg.
Die Februarrevolution: Sturz des Zaren
Allgemeine Kriegsmüdigkeit und eine schlechte Versorgung in den Städten gehörten zu den Ursachen der Februarrevolution. Entscheidend jedoch war der Vertrauensverlust in den Zaren in weiten Kreisen der Bevölkerung: Die Duma machte Nikolaus II. persönlich für die Probleme verantwortlich und forderte Reformen. Dass sogar das konservativ-monarchistische Lager sich zunehmend vom Staatsoberhaupt distanzierte, zeigt die Ermordung des Mönches Grigori Rasputin, unter dessen Einfluss die gesamte Zarenfamilie stand, durch Angehörige des Hofes.
Anfang 1917 rebellierten zunächst die Arbeiter der Putilow-Werke in Petrograd. Als am 23. Februar Frauen im Zentrum der Stadt für mehr Brot demonstrierten, schlossen sich die Arbeiter ihnen an. Die Streiks breiteten sich schnell aus, und immer mehr Menschen gingen mit roten Fahnen als Symbol der Revolution auf die Straße. Schließlich weigerte sich die Armee, auf ihre Landsleute zu schießen und wechselte ebenfalls auf die Seite der Aufständischen über.
Am 2. März (gregorianischer Kalender: 15. März) dankte Nikolaus II. widerwillig ab, womit die 300-jährige Herrschaft der Romanows und die Monarchie in Russland endeten. Zu diesem Zeitpunkt hatte bereits eine Provisorische Regierung die Macht übernommen. Sie verkündete die bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechte, erließ eine politische Amnestie und hob alle Beschränkungen durch Religion, Nationalität oder Klasse auf. Endgültig über die Zukunft des Landes sollte eine Verfassunggebende Versammlung entscheiden.
Indem die Regierung unter anderem die Entscheidung über die wichtige Landfrage bis dahin vertagte, vor allem aber, weil sie den Krieg an der Seite der Verbündeten fortsetzte, verspielte sie die Zustimmung in der Bevölkerung. Chaotische Zustände und weitere Unruhen waren die Folge. Dies wiederum spielte den radikalen Anhängern Wladimir I. Lenins, den Bolschewiki, in den Arbeiter- und Soldatenräten in die Hände, die zu diesem Zeitpunkt ein Sammelbecken aller Benachteiligten und Unzufriedenen waren. Ihre Anhängerschaft wuchs insbesondere nach der Rückkehr Lenins aus dem Exil im April 1917 durch das Versprechen, den Krieg sofort zu beenden, das Land an die Bauern und „alle Macht den Räten“ zu übertragen.
Die Oktoberrevolution: Machtübernahme der Bolschewiki
In der Nacht vom 24. auf den 25. Oktober besetzten sogenannte Rote Garden und bolschewistisch gesinnte Truppenteile der Armee wichtige Gebäude und Knotenpunkte der Hauptstadt, in der folgenden Nacht verhafteten sie die Mitglieder der Provisorischen Regierung und riefen eine „Sozialistische Räterepublik“ aus. Die Entscheidung zu einem bewaffneten Aufstand hatte Lenin erst gegen den Widerstand seiner Parteigenossen durchsetzen müssen, die für die Übernahme der Regierungsgewalt auf legalem und friedlichem Wege plädiert hatten – ein Risiko, das der Parteiführer nicht eingehen wollte. Seine Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft hatten schließlich zu dem Beschluss des Zentralkomitees der bolschewistischen Partei zugunsten der gewaltsamen Machtübernahme geführt. Während die Revolutionäre in der Hauptstadt Petrograd auf keinen nennenswerten Widerstand stießen, kam es in Moskau zu heftigen Kämpfen, bei denen mehrere Hundert Menschen ums Leben kamen. In die Regionen jenseits der großen Städte drang die Revolution erst allmählich und mit Verzögerung durch.
Zu den ersten Maßnahmen der neuen „Arbeiter und Bauernregierung“ gehörten der Austritt aus dem Krieg und die Übergabe des Landes an die Bauern. In einer Flut von Dekreten gingen die neuen Machthaber an die Zerschlagung des alten Staatsapparates: Sie erfüllten ihre Versprechen und verstaatlichten die Banken, unterstellten Fabriken und Betriebe einer Arbeiterkontrolle, schafften alle militärischen und anderen Ränge ab, verfügten die Trennung von Staat und Kirche sowie die Gleichheit und Souveränität der Volker des Russischen Reiches. Zugleich verordneten sie das Verbot der Presse, die Auflösung der alten Armee, die Abschaffung von Polizei und Justiz sowie die Verhaftung und Verfolgung ihrer Gegner durch die neu gebildete „Außerordentliche Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution und Sabotage“, die Tscheka. Mit der Gründung der Russischen Sozialistischen Föderalistischen Sowjetrepublik (RSFSR) gaben sie der neuen Räteordnung eine verfassungsrechtliche Grundlage.
Der Bürgerkrieg: Kampf um Russland
Mit der Oktoberrevolution 1917 hatten die Bolschewiki zwar die Macht übernommen, sie mussten die Regierungsgewalt jedoch gegen den Widerstand der anderen politischen Parteien und auch großer Teile der Bevölkerung behaupten. Zu diesem Zweck begann die bolschewistische Führung unmittelbar mit der Zerstörung sämtlicher alter Strukturen und überführte die Revolution nahtlos in einen – von allen Seiten brutal geführten – Bürgerkrieg.
Während Wladimir I. Lenin und seine Anhänger mit Hilfe der neu aufgestellten Roten Armee den neuen Staat verteidigten, fehlte es der äußerst heterogenen Gruppe der Revolutionsgegner an einem gemeinsamen Ziel, auf das sich alle hatten verständigen können. Gegen die „Roten“ kämpften zunächst die „Weißen“ unter Führung meist monarchistischer Generale. Sie erhielten Unterstützung durch die ehemaligen Verbündeten des russischen Imperiums – Großbritannien, Frankreich, die USA und Japan sowie durch Teile der sogenannten Tschechischen Legion, militärische Einheiten der Entente-Truppen, die nach der Oktoberrevolution zwischen die Fronten geraten waren. Eigene Interessen hatten die Sozialrevolutionäre, Bauern, Kosaken und die Kronstädter Matrosen. Ein wieder anderer Kriegsschauplatz entstand durch den Vormarsch deutscher Truppen infolge zunächst gescheiterter Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk. Für ihre nationale Unabhängigkeit kämpften außerdem zahlreiche nichtrussische Völker, von denen es den Polen, Finnen und baltischen Volksgruppen gelang, dauerhaft souveräne Staaten zu gründen. Die Lage war zeitweise so unübersichtlich, dass viele Regionen einen mehrfachen Machtwechsel erlebten.
All diese verschiedenen, zeitweilig übermächtigen antibolschewistischen Kräfte konnten letztlich nicht verhindern, dass sich die Bolschewiki durchsetzten. Doch auch sie gingen geschwächt aus dem Bürgerkrieg hervor. Mit etwa acht bis zehn Millionen Menschen hatte dieser weit mehr Opfer als der Erste Weltkrieg in Russland gekostet, die Wirtschaft lag am Boden, 1921/22 erlebte das Land eine katastrophale Hungersnot. Das Ende der gesamten revolutionären Periode seit 1917 brachte schließlich die Gründung der Sowjetunion am 31. Dezember 1922.