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Deutsche Kriegspropaganda

Zu Beginn des Krieges war sich keine der beteiligten Nationen darüber im klaren, wie lange dieser Krieg dauern würde und welche Rolle die Propaganda zunehmend spielen sollte. Grundsätzlich war in allen kriegsteilnehmenden Ländern der Beginn der Propagandaarbeit meist unkoordiniert und improvisiert. Konflikte zwischen politischen und militärischen Stellen und rigide Zensurbestimmungen erschwerten einheitliche Richtlinien für die Propagandaarbeit. Es gab zunächst zahlreiche halbamtliche und private Organisationen, die ebenfalls Propaganda betrieben; keine Regierung schuf zu Kriegsbeginn eine Zentralstelle, die alle Bereiche der Propaganda überwachte und koordinierte. 

In Deutschland war mit Beginn des Ersten Weltkriegs die Zensurhoheit sofort auf die Militärbehörden übergegangen und die Oberste Heeresleitung (OHL) auch mit Propagandaaufgaben befasst. Die deutsche Kriegspropaganda "litt" jedoch unter einer Zersplitterung, weil Kriegs- und Innenministerium, der Generalstab, das Auswärtige Amt und andere Stellen eigene Propagandaabteilungen unterhielten. Nur die "Zentralstelle für Auslandsdienst", die im Oktober 1914 durch einen Erlass des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg gegründet wurde und unter der Leitung des Zentrumsabgeordneten und späteren Reichsfinanzministers Matthias Erzberger stand, konnte als Versuch einer planvollen Steuerung der öffentlichen Meinung im Ausland gelten. Ihr Hauptziel war es, wie Erzberger formulierte, "dem Ausland zu zeigen, wie es in Deutschland aussieht und was das deutsche Volk in seiner Gesamtheit anstrebt, um hierdurch ein bleibendes Fundament für die gerechte Beurteilung der deutschen Sache zu schaffen."Die Zentralstelle wurde im Februar 1918 mit anderen Organisationen zur "Vereinigten Presseabteilung" der Reichsregierung zusammengeschlossen. Aber erst 1918 war in der deutschen OHL der Plan zur Schaffung eines Propagandaministeriums entwickelt worden.

Der steigenden Bedeutung des Films als eines der wirkungsvollsten propagandistischen Medien trug das im Januar 1917 auf Initiative der OHL gegründete Bild- und Filmamt (BUFA) Rechnung. Mit nur sieben Kamerateams blieben jedoch realistische Aufnahmen von der Front selten in den Dokumentarfilmen des BUFA: Deutlich dominiert die propagandistische Aussage gegenüber der Realität.

Im Gegensatz zu dem unverhohlen brutalen, zuweilen sogar abstoßenden antideutschen Feindbild, das die britische, französische und amerikanische Propaganda verbreitete, erschien die Bildsprache der deutschen offiziellen Propaganda fast harmlos. Zu Beginn des Krieges dominierten Motive, die der nationalen Geschlossenheit dienten, Siegeszuversicht vermittelten und das feste Bündnis der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn unterstrichen. Gegen Kriegsende appellierten immer mehr Plakate und Postkarten an den Durchhaltewillen der Bevölkerung. Plakate, die für Kriegsanleihen warben, wurden überhaupt erst seit 1917 bildlich gestaltet - doch auch bei diesem für die Heimatfront so wichtigen Medium erschienen keine furchterregenden französischen oder englischen Angreifer, die es abzuwehren galt. Stattdessen forderten die Bilder deutscher Soldaten die Zivilbevölkerung auf, Kriegsanleihen zu zeichnen. Zur Abwehr des "Barbaren"-Vorwurfs des feindlichen Auslands publizierte die deutsche Propaganda Plakate, die eher harmlose Vergleiche über die Höhe der Militär- oder Sozialausgaben der kriegsteilnehmenden Länder zeigten. "Feinde" tauchten auch hier nicht auf. Noch 1916 hieß es in den Leitsätzen der Oberzensurstelle des im Oktober 1915 gegründeten und der OHL unmittelbar unterstellten Kriegspresseamts: "Die Sprache gegenüber den uns feindlichen Staaten kann hart sein. ... Die Reinheit und Größe der Bewegung, die unser Volk erfaßt hat, erfordert eine würdige Sprache. ... Aufforderungen zu barbarischer Kriegsführung, Vertilgung fremder Völker ist abstoßend; die Armee weiß, wo Strenge und Milde zu walten hat. Unser Schild muß rein bleiben. Ähnliche Aufforderungen der feindlichen Hetzpresse sind für ein gleiches Verhalten unsererseits keine Entschuldigung."

Das hieß nicht, dass in der deutschen Öffentlichkeit keine Bilder verbreitet waren, die Deutschlands Kriegsgegner verunglimpften. Sie fanden sich vor allem auf Postkarten, Bilderbögen und Karikaturen - Medien, die nicht von offiziellen Propagandastellen herausgegeben, sondern von privaten Verlegern produziert wurden. Auch diese Veröffentlichungen unterlagen der Zensur und waren nicht harmlos; die Brutalität vieler alliierter Darstellungen gerade auf Plakaten fehlt ihnen jedoch. Bei diesen Bildern geht es vielmehr darum, den Feind lächerlich zu machen und den deutschen Betrachtern so den Eindruck militärischer und vor allem kultureller Überlegenheit zu vermitteln. Auch hier charakterisierten Stereotypen die Vertreter der feindlichen Nationen: So wurden die Russen als stets betrunkene, ungewaschene und ungebildete Analphabeten karikiert, die in einem rückständigen und unterdrückerischen System lebten, das ein verlauster Zar Nikolaus II. anführte. Die Balkanstaaten - mit Ausnahme der Türkei und Bulgariens, die an Deutschlands Seite kämpften - wurden mit ähnlichen Klischees dargestellt.

Ihren Hauptfeind sahen die Deutschen jedoch in England, "dem perfiden Albion". Die "Händler" und "Krämerseelen" wurden als traurige, unsportliche Gestalten lächerlich gemacht. Die Karikatur "John Bull" - eine im 18. Jahrhundert in England entstandene, bekannte Personifikation Englands und des englischen Charakters als ehrlicher und heiterer Bauer mit "Union Jack"-Weste - wurde in der deutschen Propaganda ein in jeder Hinsicht raffgieriger, aber feiger Dickwanst - und ebenfalls ein Unterdrücker und Brandstifter. Ein Hauptangriffspunkt deutschen Spotts - neben dem britischen Kolonialismus - war die britische Flotte, deren Seeblockade in Deutschland auf Ablehnung und Wut stieß. In den Karikaturen war sie allerdings der deutschen Seemacht hoffnungslos unterlegen.

Wie England durch "John Bull", eine Schlange oder einen Kraken dargestellt wurde, standen für Frankreich die "Marianne", vor allem aber der Hahn, der vom deutschen Adler gerupft wurde. Das Bündnis der Ententemächte wurde in vielen Karikaturen und Zeichnungen ebenfalls der Lächerlichkeit preisgegeben: Die zerlumpten oder verwundeten Staatsmänner repräsentierten die "Krüppel-Entente", aus dem Viererverband wurde eine "Viererbande". Als 1917 der Kriegseintritt der USA das militärische Übergewicht weiter zu Gunsten der Alliierten verschob, wurden antiamerikanische Bilder verbreitet, die den amerikanischen Kapitalismus als kriegstreibenden Faktor kritisierten und vor allem die Friedensinitiativen des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson lächerlich und unglaubwürdig machten.

Bis 1917 erschienen die Aufrufe zur Zeichnung von Kriegsanleihen im Deutschen Reich nur als Schriftplakate. Erst bei der Werbung für die sechste Kriegsanleihe entschied sich die Reichsbank für ein Motiv nach dem Gemälde von Fritz Erler (1868-1940). "Helft uns siegen!" erbrachte 13,1 Millionen Mark - mehr als jede andere Kampagne. Erlers Soldat wurde zur Ikone des deutschen Weltkriegsplakats: Stacheldraht, Stahlhelm und Gasmaske waren zum Symbol eines erbittert geführten Stellungskriegs geworden.

Carola Jüllig
14. September 2014

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