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Walter Flex: Der Wanderer zwischen beiden Welten. Ein Kriegserlebnis

Autobiographische Erzählung von Walter Flex, erschienen 1917. Flex schildert ein Kriegserlebnis, das für seine geistige Entwicklung von nachhaltiger Bedeutung war: die Begegnung mit dem früh gefallenen Freund und Mentor Ernst Wurche. Der Theologiestudent und Wandervogel Wurche ist das Idealbild des deutschen Kriegsfreiwilligen und Frontoffiziers, aber auch des neuen Menschen und Menschenführers, der beiden Welten, Erde und Himmel, Leben und Tod, gleich nahe ist: sein Gang schon ist "Wille und Freude", sein großer Wunsch, wenigstens einen Sturmangriff mitzumachen, und im Tornister führt er die Gedichte Goethes, Friedrich Nietzsches "Zarathustra" und das "Neue Testament" mit. 

Der Erzähler trifft mit ihm im Frühjahr 1915 zusammen, in einem Regiment, das aus Lothringen an die im Stellungskrieg erstarrte Ostfront verlegt wird. Die beiden Freunde verleben in der Gegend von Augustowo einen fast idyllischen Frühsommer ohne Kriegslärm, und Wurche entwickelt in zahlreichen Gesprächen bei Nachtwachen oder Wanderungen hinter der Front seine Weltanschauung. Als Wurche bei einem Sturmangriff im August 1915 getötet wird, kann sich der Erzähler nur schwer einer sinnlosen, unfruchtbaren Verzweiflung erwehren. Aber der Eindruck von Wurches Lehren ist stärker, und er lernt den Tod als Freund des Menschen zu begreifen.

Neben Ernst Jüngers und Erich Maria Remarques Darstellungen ist "Der Wanderer zwischen beiden Welten" noch heute die bekannteste aus dem Ersten Weltkrieg - an jenen gemessen das Dokument eines fragwürdig-kindlichen Idealismus. Auch wenn das in Krieg, Sieg und Opfertod gesuchte "Heil für Gegenwart und Zukunft unseres Volkes" edle Absicht war und nicht nationaler, sondern "sittlicher Fanatismus" sein sollte, enthüllt doch die Sprache die Brüchigkeit solcher Auffassung. Nicht nur traditionell klischeehaft, benützt sie überdies, um dem Krieg Sinn zu geben, den biblischen Gleichnisvorrat für die vaterländischen Interessen (z.B. wenn der Kriegseintritt Italiens mit dem Verrat des Judas verglichen wird) oder sucht ihn in den Bereich des Schönen zu entrücken: "Mit einmal legte er mir den Arm um die Schulter und rückte das helle Schwert vor meine Augen: 'Das ist schön, mein Freund! Ja?' Etwas wie Ungeduld und Hunger riß an den Worten, und ich fühlte, wie sein heißes Herz den großen Kämpfen entgegenhoffte." Auch die Nähe zum Schönheitsempfinden des Jugendstils lässt sich vielfach belegen: "Der junge Mensch stand schlank und hell auf dem blühenden Grunde, die Sonne ging schimmernd durch seine lichtgebreiteten Hände..." Dadurch werden menschliches und kriegerisches Geschehen in eine religiöse und ästhetische Sphäre hinaufgesteigert, die jeglichen Wirklichkeitsbezug entbehrt. - Seiner Wandervogel-Ideologie, seiner idealistischen Verzerrung und Ästhetisierung des Krieges, die der einer ganzen Generation von Kriegsfreiwilligen entsprach, aber auch seiner Darstellung einer starken, homoerotisch getönten Freundschaftserfahrung verdankte das millionenfach verbreitete Büchlein seine verführerische Kraft und breite Wirkung.

(Kindlers Neues Literaturlexikon, Kindler Verlag, München)

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