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Die Lebensmittelversorgung

Trotz der Bedeutung einer gesicherten Lebensmittelversorgung für die "Kriegsmoral” fehlten auch in Deutschland bis Kriegsbeginn entsprechende Planungen und Vorbereitungen für einen längeren Krieg. In Erwartung eines schnellen Sieges wurden selbst die normalen Nahrungsmittelvorräte schon in den ersten Kriegsmonaten verbraucht. Erst nach dem Scheitern des Schlieffen-Plans versuchten staatliche Behörden auf Reichs- und auf Länderebene, steuernd in die Erzeugung und Verteilung von Lebensmitteln einzugreifen. Extrem schlechte Ernten und die Folgen der britischen Seeblockade führten zunächst zur Festlegung von Höchstpreisen für Lebensmittel und nur wenig später zu deren umfassender Rationierung. Die miserable Versorgung mit Lebensmitteln erreichte 1916/17 im "Kohlrübenwinter” einen dramatischen Höhepunkt. Während des Ersten Weltkriegs starben in Deutschland rund 750.000 Menschen an Unterernährung und an deren Folgen.

Schon mit der Mobilisierung wurden den landwirtschaftlichen Betrieben im Sommer 1914 viele ihrer leistungsfähigsten Arbeitskräfte zur Erntezeit entzogen. Frauen und Kinder sowie die vor allem auf den ostelbischen Gütern eingesetzten polnischen Wanderarbeiter, zu denen im weiteren Kriegsverlauf immer mehr Kriegsgefangene kamen, konnten die Arbeitskraft der eingezogenen Männer aber zu keinem Zeitpunkt vollwertig ersetzen und den deutlichen Einbruch bei der Nahrungsmittelproduktion verhindern. Verantwortlich für den starken Produktivitätsrückgang in der Landwirtschaft waren aber auch die Beschlagnahmung von einer Million Pferde als Zugtiere für die Armee, die immer schlechteren Wartungs- und Ersatzmöglichkeiten von Landmaschinen sowie der schnell steigende Mangel an Düngemitteln. So sank die Kartoffelproduktion von 52 Millionen Tonnen (1913) auf 29 Millionen Tonnen (1918), und der Getreideertrag fiel von 27,1 Millionen Tonnen (1914) auf 17,3 Millionen Tonnen (1918).

Um die Ernährung der einkommensschwachen Bevölkerungsschichten auf einem noch vertretbaren Preisniveau zu gewährleisten, wurden im Oktober 1914 staatlich festgelegte Höchstpreise für Brotgetreide eingeführt. Um die Getreidevorräte zu strecken, wurde zugleich für das "K-Brot" mit einem 30-prozentigen Kartoffelanteil als Ersatzstoff erlaubt. Doch die anhaltende Verknappung des Brotgetreides führte schon im folgenden Frühjahr zur Anhebung des Höchstpreises und zur Rationierung von Brot - ohne dass jedoch die auf den Brotkarten stehenden Mengen auch tatsächlich immer verfügbar gewesen wären. Als die Ernteerträge 1915 um fast 20 Prozent unter denen des Vorjahres blieben, wurden nach und nach für fast alle landwirtschaftlichen Produkte Höchstpreise eingeführt. Da es für die Erzeuger jedoch weit profitabler war, ihre Produkte über den "Schleichhandel" zu vermarkten, statt sie zu den - nicht immer kostendeckenden - Preisen auf dem regulären Markt anzubieten, folgte jeder Festlegung von Höchstpreisen eine tendenzielle Verknappung des regulären Angebots. Zudem hatten die aus politischen Gründen niedrig gehaltenen Preise für Kartoffeln und Brotgetreide viele Landwirte veranlasst, diese Grundnahrungsmittel zur Produktion von teurem Schweinefleisch zu verfüttern. Um den völligen Zusammenbruch der Kartoffelversorgung in den industriellen Zentren zu verhindern, wurde zwar im Frühjahr 1915 das Abschlachten eines guten Drittels des gesamten Schweinebestands angeordnet, doch trotz des von den Landwirten heftig kritisierten "Schweinemords" verbesserte sich die Kartoffelversorgung in den Städten kaum; das Schweinefleisch verschwand auf dem Schwarzmarkt und zog die Preise für andere Fleischsorten in bis dahin unbekannte Höhe. Ähnlich erfolglos waren die Versuche der Behörden, den Anbau von Zuckerrüben zu reglementieren: Da vor Kriegsbeginn rund 40 Prozent der Zuckerproduktion in den Export gingen, durfte der - vermeintlich überschüssige - Zucker zunächst zur Herstellung von Branntwein und Korn genutzt werden, ungeachtet des damit einhergehenden Verbrauchs von Brotgetreide und Kartoffeln. Angesichts der Verknappung dieser Nahrungsmittel wurde dann im Frühjahr 1915 zwar das Brennen von Korn verboten, aber zugleich auch der Zuckerrübenanbau so stark eingeschränkt, dass es - trotz eines verfügten Verfütterungsverbots von Zuckerrüben - auch bei der Zuckerversorgung zu erheblichen Engpässen kam.

Versorgungsengpässe, steigende Lebensmittelpreise und nicht zuletzt das Gefühl einer ungerechten Verteilung führten schon 1915 zu ersten Hungerkrawallen. Die äußerst unzureichende Versorgung im Winter 1915/16 ließ auch im Reichstag den Ruf nach einer zentralen Behörde zur Sicherstellung der Ernährung lauter werden. Im Mai 1916 wurde schließlich das Kriegsernährungsamt als eine dem Reichskanzler unmittelbar unterstellte Reichsbehörde ins Leben gerufen, die einen Kompromisskurs zwischen der Forderung nach verbraucherfreundlichen Zwangsmaßnahmen gegen die Agrarier und deren Wunsch nach völliger Preisfreigabe für alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse als Produktionsanreiz verfolgte. Von den geringen Erfolgen des Kriegsernährungsamts enttäuscht, setzte die preußische Regierung zwar Mitte Februar 1917 mit Georg Michaelis einen eigenen Staatskommissar für Volksernährung ein, konnte aber auch mit diesem Schritt die Lebensmittelversorgung nicht nachhaltig verbessern. Trotz des im Herbst 1916 eingeführten Systems einer umfassenden Rationierung aller Lebensmittel reichten die zugeteilten Mengen bei weitem nicht mehr zur Deckung des täglichen Kalorienbedarfs. Die Versorgung mit Milch, Butter, Eiern und Fleisch brach zeitweise völlig zusammen. Als nach der wiederum unerwartet schlechten Ernte von 1916 im Zusammenhang mit der Umsetzung des Hindenburg-Programms akute Transportprobleme auftraten, konnte das ausufernde System von Rationierung und Reglementierung den katastrophalen "Kohlrübenwinter" nicht verhindern. Gegen die vielerorts aufkommenden Hungerunruhen wurden nun reguläre Armee-Einheiten eingesetzt. Nach der Russischen Februarrevolution entlud sich die Unzufriedenheit über die schlechte Ernährungslage in ersten Massenstreiks.

Da sich alle Maßnahmen der zuständigen Behörden gegen den ausgetrockneten Lebensmittelmarkt und den immer offener zutage tretenden Schleichhandel als unwirksam erwiesen, schwand das Vertrauen in die staatliche Kompetenz. Die vom Bund der Landwirte (BdL) im Frühjahr 1918 mit Nachdruck vorgebrachte Forderung, bis auf Kartoffeln und Brotgetreide nun endlich alle Agrarprodukte für den freien Handel zuzulassen und allen weiteren Tendenzen zum "sozialdemokratischen Zwangsstaat" Einhalt zu gebieten, offenbarte eine politisch kaum noch überbrückbare Kluft zwischen den Erzeugern von Lebensmitteln und den Verbrauchern.

Burkhard Asmuss
14. September 2014

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