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    Informationsbroschüre zum Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, 1981

Am 6. August 1945 erfolgte auf Hiroshima der erste Abwurf einer Atombombe, der zweite drei Tage später auf Nagasaki. In Hiroshima waren rund 140.000, in Nagasaki rund 75.000 Menschen sofort tot, Zehntausende starben noch Jahrzehnte später an den Folgen ihrer Verletzungen oder an der nuklearen Verstrahlung. Der amerikanische Präsident Harry S. Truman hatte sich zum Einsatz der Atombombe entschlossen, um eigene Stärke zu demonstrieren und Japan zur Kapitulation zu zwingen. Am 14. August 1945 erließ der japanische Kaiser den "Erlass über das Kriegsende". Darin akzeptierte er die bedingungslose Kapitulation Japans, die am 2. September 1945 den Zweiten Weltkrieg beendete.

Seit Beginn der 1940er Jahre arbeiteten Wissenschaftler – unter ihnen auch exilierte Europäer wie Niels Bohr ­– in den USA an der Entwicklung eines Kernreaktors und am Bau einer Nuklearwaffe. Ein Resultat der Arbeit war am 16. Juli 1945 die erste oberirdische Atombombenzündung im US-Bundesstaat New Mexico. Die Forschungen unter Leitung des Physikers Robert Oppenheimer (1904-1967) waren von der US-Regierung in der Sorge forciert worden, dass das NS-Regime in Deutschland möglicherweise früher als die USA über eine funktionstüchtige Atombombe verfügen könnte. 

Am Beginn des so genannten deutschen Uranprojektes stand eine Versuchsreihe des Chemikers Otto Hahn und seines Mitarbeiters Fritz Straßmann (1902-1980) im Dezember 1938, bei der erstmals die Spaltung des Uran-Kerns durch Neutronen gelang. Im folgenden jahr gelang Lise Meitner und Otto Robert Frisch (1904-1979) die erste theoretische Deutung dieses Vorgangs. Bei der Kernspaltung von Hahn und Straßmann wurden bis dahin nicht vorstellbare Mengen von Energie freigesetzt. Damit waren die Voraussetzungen zur technischen Nutzung der Kernenergie, aber auch zur Herstellung von Atomwaffen mit ungeheurer Wirkung gelegt, wie Wissenschaftler weltweit analysierten, nachdem Hahn und Straßmann die erstmals gelungene Kernspaltung 1939 in der Zeitschrift "Die Naturwissenschaft" vorgestellt hatten.

 Auch die Wehrmacht war sich schon 1939 über die militärischen Anwendungsmöglichkeiten der Kernspaltung im Klaren. Das wissenschaftliche Zentrum der vom Heereswaffenamt koordinierten Atomforschung unter der Leitung von Werner Heisenberg bildete das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin. Daneben war es vor allem Kurt Diebner (1905-1964), der als Leiter des Referats für Atomphysik innerhalb des Heereswaffenamtes das deutsche Uranprojekt auf dem Heeresversuchsgelände Kummersdorf in Gottow südlich von Berlin vorantrieb.

 Die Wissenschaftler standen zunächst vor dem Problem, dass es im Deutschen Reich nicht ausreichend Uranerzvorkommen gab, um im großen Stil forschen zu können. Erst nach der Besetzung Belgiens 1940 verfügte Deutschland über genügend Radium- und Uranerzressourcen, die theoretisch zum Bau einer Atombombe ausreichten. Den zur Atomforschung dringend benötigten Teilchenbeschleuniger erhielten die Forscher ebenfalls 1940 aus dem Pariser Institut des Physikers Frederic Joliot-Curie (1900-1958). Die Fertigstellung eines deutschen Teilchenbeschleunigers erfolgte erst 1943. Das für die Atomforschung wichtige Schwere Wasser war in ausreichender Menge mit der Osloer Fabrik "Norsk Hydro", dem einzigen Produzenten dieses Wassers in Europa, in deutsche Hand gelangt. Eine weitere Schwierigkeit, die Weiterverarbeitung von Uranerz zu Uranoxyd und Uranmetall, war vom Heereswaffenamt durch den Bau eines entsprechenden Werkes in Oranienburg bereits gelöst worden.

 Durch die Erfolge der Wehrmacht auf den Schlachtfeldern Europas war der dringende Bedarf an neuen Waffen zunächst gesunken, weshalb das Heereswaffenamt das Uranprojekt Ende 1941 dem Reichsforschungsrat übertrug. Zudem war die anfängliche Begeisterung innerhalb der NS- und Wehrmachtsführung über den militärischen Nutzen der Atomforschung kühler Nüchternheit gewichen, als ihnen deutlich gemacht wurde, dass für Bau und Fertigstellung einer Atombombe noch Jahre vergehen würden. Umso erstaunter und ungläubiger waren die zehn seit Juli 1945 auf dem englischen Landsitz Farm Hall internierten deutschen Physiker des Uranprojektes über den amerikanischen Atombombenabwurf auf Hiroshima. Als Reaktion darauf erklärten einige der deutschen Wissenschaftler, die deutsche Atomforschung hätte nicht die Entwicklung eines Kernsprengstoffs zum Ziel gehabt. Mit der Zeit entwickelte sich daraus die Legende von den "anständigen Wissenschaftlern", die ihre Forschung bewusst verzögert hätten, um das NS-Regime nicht in den Besitz einer Atomwaffe zu bringen.

Felix Mühlnickel, Arnulf Scriba
24. November 2022

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