1875 führte das Deutsche Reich die Zivilehe ein. Der Gang zum Standesamt minderte jedoch nicht die Popularität und den Stellenwert der kirchlichen Trauung. Der Hochzeitstag, einmalig im Leben von Braut und Bräutigam, erhielt durch festliche Kleidung und tradierte Bräuche seinen besonderen Charakter. Trug in ländlichen Gegenden noch bis ins 20. Jahrhundert die Braut ein schwarzes Kleid, das später auch für andere feierliche Anlässe genutzt werden konnte, setzte sich in den Städten gegen Ende des 19. Jahrhunderts das weiße Hochzeitskleid durch. Zu beiden legte die Braut einen weißen Schleier mit Myrtenkranz an als Symbol ihrer Jungfräulichkeit.
Der getrocknete Kranz, Fotos und Wandschmuck erinnerten auch in Arbeiter- und Kleinbürgerhaushalten an den Festtag. Die bürgerliche Hochzeitsgesellschaft, die für das Foto vor einer bemalten Leinwand posiert, ist festlich gekleidet: Die Braut trägt Weiß mit langer Schleppe, Schleier und Myrte, am schwarzen Rock des Bräutigams ist ebenfalls ein Myrtenzweig befestigt, ein traditionelles Hochzeitszeichen. Schlichter präsentiert der vorgefertigte Wandschmuck die wohl kleinbürgerlichen Eheleute. Beide Paare jedoch schauen würdevoll in die Kameras, denn die Hochzeit war durchaus eine ernste Angelegenheit. Nur aus Liebe wurde der Bund fürs Leben im Kaiserreich selten geschlossen. Ehe war eine Zweckgemeinschaft zur materiellen Versorgung und Absicherung, zur Zeugung von Nachwuchs und die einzig gesellschaftlich, kirchlich und moralisch sanktionierte Form des Zusammenlebens der Geschlechter.