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Warenhäuser

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich im Gefolge von Industrialisierung und Massenproduktion eine grundlegende Veränderung und Erweiterung der Konsumgewohnheiten. Die Verstädterung wuchs, und immer mehr Menschen wurden von den Möglichkeiten der Selbstversorgung abgeschnitten. Handwerklich-manufakturelle Produktionsbedingungen wurden verdrängt und die Waren des alltäglichen Gebrauchs zunehmend maschinell hergestellt. Vor allem für die Bevölkerung der Großstädte wurden neue Einrichtungen für die Versorgung sowie für die Verteilung der Waren notwendig. In Europa wurden um 1860 die ersten Warenhäuser gegründet, wobei Paris zur "Hauptstadt der Warenhäuser" avancierte.

In seinem auf dem Vorbild des ersten Pariser Warenhauses "Au Bon Marché" basierenden Roman "Au Bonheur des Dames" ("Das Paradies der Damen") schilderte der Schriftsteller Emile Zola eindrucksvoll die revolutionären Organisationsprinzipien des Warenhauses, aber auch das Elend der Angestellten und die Verdrängung der kleinen Ladenbesitzer im Einzugsgebiet der Warenhäuser, die mit den niedrigen Preisen der dort in großer Stückzahl verkauften Industrieprodukte nicht mehr Schritt zu halten vermochten. Eine Vielzahl von Großmärkten, Schlachthöfen und Warenhäusern entstanden in den europäischen Großstädten, da die traditionellen Märkte und Markthallen dem Massenbedarf immer weniger gewachsen war.

In Deutschland wurden um die Jahrhundertwende große luxuriöse Warenhauspaläste gebaut, die das Einkaufen zu einem Erlebnis machten. Das von dem Architekten Alfred Messel (1853-1909) am Leipziger Platz in Berlin entworfene und 1894 eröffnete Warenhaus Wertheim war das größte Europas, und ein Besuch galt nicht immer dem Einkauf, sondern nahm häufig Formen eines Familienausflugs an. Außer dem Warenhaus Wertheim entstanden in Berlin das ebenfalls sehr prachtvoll gestaltete Warenhaus Tietz am Alexanderplatz (1904), das "Kaufhaus des Westens" am Kurfürstendamm (1907) und das Warenhaus Karstadt am Hermannplatz (1929). Als Massenumschlagsplätze strukturierten diese "Flaggschiffe" der Warenhauskonzerne auch die Verkehrsflüsse in den Städten, wurden gleichermaßen zu notwendigen Versorgungseinrichtungen der Bevölkerung wie zu Attraktionen des Fremdenverkehrs.

Obwohl Warenhäuser im Kaiserreich noch eher einer bürgerlichen, bessergestellten Käuferschaft vorbehalten waren, vollzog sich zu Beginn der Weimarer Republik rasch eine "Demokratisierung des Konsums". Neben den großen Warenhäusern, die sich durch repräsentative Fassaden und Treppenhäuser, großzügige Lichthöfe, Glaskuppeln, Dachgärten und durch eine luxuriöse Ausstattung auszeichneten, wurden kleinere Warenhäuser in den Einkaufszentren der Stadtteile errichtet, die nahezu den gesamte Kosmos von Gebrauchsgütern unter einem Dach anboten und diese stärker an den häufig über wenig Einkommen verfügenden Käuferschichten des Einzugsgebiets ausrichteten. Industriell gefertigte Massenprodukte konnten für breitere Schichten hergestellt werden. Die vorher wenigen Wohlhabenden vorbehaltenen Luxusgüter wurden zu preiswerten Serienprodukten, und auch seltene Importgüter waren nun in großen Mengen für immer mehr Käufer erschwinglich.

In den zwanziger Jahren vergrößerte sich mit zunehmender Rationalisierung und Automatisierung in Produktion und Distribution der Preisvorteil der Warenhausprodukte zusehends. Gegen die Konzentration der Warenhausunternehmen mit zahlreichen Filialen - in Deutschland vor allem Karstadt, Leonhard Tietz (Kaufhof) und Hermann Tietz (Hertie) - konnten sich kleine Läden in den Stadtzentren oft nur mit einem sehr begrenzten und spezialisierten Angebot halten. Unter den neuen Produktions- und Distributionsbedingungen setzten sich auch neue Verkaufsprinzipien durch: Warenhäuser boten mehr Kulanz, offerierten Umtausch- oder Rückgaberecht und führten neue Formen der Werbung wie Lichtreklame, Zeitungsannoncen oder die sogenannten Weißen Wochen wie Sommer- und Winter-Schlußverkäufe ein. Das Verhältnis der traditionell oft noch im Haus der Ladenbesitzer wohnenden und deren Familie zugehörig fühlenden Gehilfen versachlichte sich: Die Verkäufer und Verkäuferinnen der Warenhäuser waren Angestellte mit festen Arbeitszeiten und "Sonntagsruhe", die unter Berücksichtigung von Wohnungs- und Verpflegungsgeld eine eigene Wohnung bewohnten.

Klaus Strohmeyer
14. September 2014

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