Nie zuvor war die deutsche Literatur stilistisch und formal so vielgestaltig wie in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Zwar hatte der Naturalismus seine stilbildende Kraft bereits Ende des 19. Jahrhunderts verloren, doch wirkte er noch in das Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg, vor allem im Theaterschaffen fort. Die naturalistischen Künstler, die stark durch den wissenschaftlichen Positivismus der Zeit beeinflusst waren, widmeten sich oft sozialkritischen Stoffen, was auf massive Kritik seitens Kaiser Wilhelms II. stieß. Als bekanntester Repräsentant darf Gerhart Hauptmann gelten, dessen Drama "Die Weber" (1892 zunächst als "De Waber" erschienen) seine Bedeutung bis heute nicht verloren hat.
Abgelöst - oder wie der Theoretiker der Epoche, Hermann Bahr (1863-1934), sagte: "überwunden" - wurde der Naturalismus von einer Vielzahl neuer Richtungen, die allein die Abkehr von ihm und der Gesellschaft des Kaiserreichs einte. Obwohl auch sie in Großstädten wie Berlin, Wien und München beheimatet waren, organisierten sich ihre Vertreter eher in exklusiven Zirkeln, wie dem George-Kreis oder dem "Jungen Wien". Für den literarischen Impressionismus, die Neoromantik oder den Symbolismus sind "décadence", "Geheimnis", "Schönheit" und "Seele" Schlüsselbegriffe; Friedrich Nietzsche und die Künstler der französischen Moderne des 19. Jahrhunderts sind die Ahnherren der neuen Kunst. Durch ihre Vermittlung erfährt auch die deutsche Romantik eine Neubewertung. Man glaubte, die Welt sei nur im Ästhetischen zu retten; der Dichter wird erneut zum Seher. Bedeutende, zumeist hermetische Dichtung wird von Stefan George, Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal geschaffen. Die gegennaturalistische Kunst bildete für viele Literaten jedoch nur eine Übergangsphase in ihrer Entwicklung, so für Hermann Hesse, Thomas oder Heinrich Mann. Letzterer liefert in seinem Roman "Der Untertan" eine Abrechnung mit der spießbürgerlichen Welt der wilhelminischen Ära.
Der literarische Expressionismus machte es sich zum Ziel, die nuancierte, feinsinnige Betrachtung durch eine ausdrucksstarke, "expressive" Dichtung zu ersetzen, um so wieder zum "wahrhaften Menschen" und seinem "Wesen" vorzudringen. Er erlebte in der Zeit vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine kurze, intensive Blüte. Die Expressionisten litten am Sinnverlust in der Welt ihrer Väter; ihre Literatur richtete sich gegen Gewalt, Kapital und Staat und versteht sich - durchaus politisch - als eine "Dichtung der Weltveränderung". Sie will zerstören, um zum neuen Leben zu gelangen. Die sehr facettenreiche Bewegung, zu deren bedeutendsten Vertretern Gottfried Benn, Else Lasker-Schüler, Georg Heym oder Georg Trakl zählen, ist von August Strindberg (1849-1914), der Lebensphilosophie und wiederum Nietzsche beeinflusst und hält bis in die Mitte der Zwanziger Jahre an.
Im wilhelminischen Deutschland ist die Literatur zu einer Institution von gesamtgesellschaftlicher Relevanz geworden. Gerade durch ihre Distanz zum Geist der Zeit gibt sie über diesen Auskunft, und gerade das macht sie bis heute bedeutsam.
Im wilhelminischen Deutschland ist die Literatur zu einer Institution von gesamtgesellschaftlicher Relevanz geworden. Gerade durch ihre Distanz zum Geist der Zeit gibt sie über diesen Auskunft, und gerade das macht sie bis heute bedeutsam.