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Freisinnige Volkspartei 1893-1910

Die seit Gründung der Deutsch-Freisinnigen Partei 1884 bestehenden politischen Differenzen zwischen den "Sezessionisten" der Liberalen Vereinigung und den Liberaldemokraten der Deutschen Fortschrittspartei traten bei der Reichstagsabstimmung über die Militärvorlage von Reichskanzler Leo von Caprivi im Mai 1893 offen zu Tage. Unter Führung von Karl Schrader (1834-1913) stimmten einige Mitglieder der Freisinnigen abweichend von der Reichstagsfraktion für die Regierungsvorlage. Darauf hin kam es zur Spaltung der Deutsch-Freisinnigen Partei. Der als gemäßigt geltende Parteiflügel um Schrader gründete die Freisinnige Vereinigung. Der verbliebene größere linksliberale Flügel konstituierte sich unter der Führung von Eugen Richter als Freisinnige Volkspartei.

Die Freisinnige Volkspartei sah sich als eigentlichen Nachfolger der von 1861 bis 1884 bestehenden Deutschen Fortschrittspartei und der Deutsch-Freisinnigen Partei. Ihre politischen Zentren hatte die Freisinnige Volkspartei in Schlesien, Ostpreußen und Berlin, aber auch in der Provinz Sachsen, in Sachsen-Meiningen, Lippe und Hamburg. Im süddeutschen Raum arbeitete sie eng mit der Deutschen Volkspartei zusammen. Im Gegensatz zur Freisinnigen Vereinigung kamen Mitglieder und Wähler der Freisinnigen Volkspartei überwiegend aus klein- und mittelständischen Kreisen. Aber auch in kleinbürgerlichen Schichten fand die Partei unter Angestellten, Beamten und Lehrern Zuspruch. Vereinzelt schlossen sich ihr auch liberale Gutsbesitzer und Großbauern an.

Politisch positionierte sich die linksliberale Freisinnige Volkspartei im Unterschied zur Freisinnigen Vereinigung deutlich in Opposition zur Militärpolitik der Regierung Leo von Caprivis und lehnte höhere ab Militärausgaben entschieden. Auch die Außen- und Kolonialpolitik Bernhard von Bülows sowie der von Alfred von Tirpitz vorangetriebene Flottenbau fanden bei den Freisinnigen zunächst keine Unterstützung. Vielmehr traten sie für wirtschafts- und sozialliberale Ziele ein. Der "Opportunismus" der Nationalliberalen Partei, die sich nach der Entlassung Otto von Bismarcks 1890 immer mehr zu einer regierungstragenden Partei entwickelte, stieß bei vielen Linksliberalen auf Ablehnung. Das Mitregieren um den Preis der eigenen politischen Überzeugungen wurde von Eugen Richter fast ebenso dogmatisch abgelehnt wie eine Vereinigung aller liberalen Parteien. Doch nicht alle Linksliberalen hielten Richters einseitigen Kurs für den richtigen Weg. Auf der Suche nach neuen Perspektiven für den Liberalismus und einer einflussreicheren Rolle im politischen Leben des Kaiserreichs waren sie auch bereit, von einigen alten Überzeugungen Abstand zu nehmen.

Doch erst nach dem Tod Richters 1906 lockerten sich die Positionen der Linksliberalen. Zusammen mit Vertretern der Freisinnigen Vereinigung und der Deutschen Volkspartei suchte die Freisinnige Volkspartei nach einer gemeinsamen politischen Plattform. So organisierten sie für die Reichstagswahl am 25. Januar 1907 einen gemeinsamen Wahlkampf und bildeten nach der Wahl eine Fraktionsgemeinschaft. 1910 schlossen sich die drei Parteien schließlich zur Fortschrittlichen Volkspartei zusammen, die bis 1918 Bestand hatte.

Johannes Leicht / Rosmarie Beyer de Haan / Arnulf Scriba
14. September 2014

 

 

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