Um 1900 entstand in einigen europäischen Ländern und in Nordamerika eine breite reformpädagogische Bewegung. Sie strebte die Einführung der Kunsterziehung an, betonte den Stellenwert gemeinsamer Arbeit, plädierte für nicht-konfessionsgebundene Einheitsschulen und für die Erziehung in Landheimen. Die Reformpädagogik enthielt neoromantische, progressiv künstlerische und politische Elemente und war mit der Jugendbewegung verbunden. Den Kern der neuen Erziehungsideale bildete die pädagogische Orientierung an den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes. Diese Pädologie stand im Gegensatz zu den traditionellen Maßstäben der Erwachsenenwelt, die bis dahin als Ausdruck der gesellschaftlichen Ordnung des Kaiserreichs die Erziehung von Kindern und Jugendlichen bestimmte.
Die Vorstellungen Jean-Jacques Rousseaus (1712-1787) von einer freien Entwicklung der Persönlichkeit aufgreifend, kam die Reformpädagogik auch zu einer positiven Neubewertung des Spiels, zur Neuentdeckung des künstlerisch-musischen Bereichs sowie des natürlichen Bewegungsdrangs und der selbständigen Aufgabenerarbeitung. Die Forderung nach einer Ausprägung des Individuums wurde durch das Prinzip gemeinsamer Erziehung ergänzt.
Mit ihren weitreichenden Neuerungen wirkte sich die reformpädagogische Bewegung auch auf sozialpädagogische Aufgabenbereiche und auf die Erwachsenenbildung aus. Die Reformpädagogik sprach mit ihrem starken Praxisbezug eine breite Öffentlichkeit an und trug damit gegen Ende des Ersten Weltkriegs zur Etablierung der Erziehungswissenschaft an den Universitäten bei. Zu den wichtigsten Initiatoren der Reformpädagogik zählen Hermann Lietz (1868-1919), John Dewey (1859-1952), Georg Kerschensteiner (1854-1932), Ellen Key, Maria Montessori (1870-1952) und Alfred Lichtwark (1852-1914).