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Die deutsche Kolonie Kamerun

Krabben waren Namensgeber einer großen Flussmündung an der Küste Westafrikas, die portugiesische Entdecker im 15. und 16. Jahrhundert als "Camaroes" (deutsch: Krabbenfluss) bezeichneten. In dieser Gegend Afrikas ließen eine üppige Flora und Fauna sowie der 4.095 Meter hohe Fako (Kamerunberg) die Europäer ungeahnte Reichtümer vermuten. Deutsche Handelsbeziehungen in diese Region existierten ab Mitte des 19. Jahrhunderts, die Firma C. Woermann errichtete 1868 ihre erste Faktorei an der Küste Kameruns und baute ihren Einfluss rasch aus. Kautschuk, Palmenöl, Kokos, Bananen, Erdnüsse und Elfenbein waren begehrte Handelsgüter, welche die europäischen Händler zumeist gegen billige Industriewaren, Tabak und Alkohol mit der einheimischen Bevölkerung tauschten.

Aufgrund von Forderungen von Teilen der Öffentlichkeit und Industriellen nach neuen Absatzgebieten für deutsche Produkte beauftragte Reichskanzler Otto von Bismarck den Afrikaforscher Gustav Nachtigal (1834-1885), die Küste um den Kamerunfluss unter deutschen Schutz zu stellen. Damit erwarb das Deutsche Reich 1884 nach Deutsch-Südwestafrika eine zweite Kolonie in Afrika. Im April 1885 und im November 1893 schloss Deutschland Abkommen mit den Briten über die Westgrenze der Kolonie. Die Festlegung der Ostgrenze erfolgte durch Abkommen mit Frankreich im Dezember 1885 und endgültig im März 1894. Im Norden an den Tschadsee grenzend, umfasste Kamerun eine Fläche von der Größe des Deutschen Reichs.

 

Die Deutschen besaßen nicht die völlige Kontrolle über das Land und damit auch keinen Einfluss auf den größten Teil der rund 2,6 Millionen Einwohner, die sich überwiegend aus Bantu, Semibantu und ethnischen Gruppen wie Massa und Fulbe zusammensetzten. Erst durch die fortschreitende medizinische Entwicklung war es den Europäern ohne tödliche Gefahr möglich, in die von Malaria, Gelbfieber und Pocken geplagten Gebiete vorzudringen. Der Industrielle Adolph Woermann (1847-1911) forderte als nationalliberaler Reichstagsabgeordneter und Mitglied des 1890 gebildeten Kolonialrats die Entsendung einer Expedition in das Landesinnere, damit deutsche Firmen Zugang zu den einheimischen Handelswegen und Reichtümern erhielten und der von den Dualas kontrollierte Zwischenhandel unterbunden werde. Um den damit verbundenen Widerstand der Dualas und der Küstenbevölkerung zu brechen, wurde im Juni 1891 eine Polizeitruppe aus angekauften Sklaven gebildet.

Nach der Kontrolle über die Küste unterwarfen die Deutschen 1892/93 die Bakoko und Mabea und weiteten ihre Herrschaft auf Teile des Südwestkameruner Hinterlands aus. Ein nicht weniger rücksichtloses Vorgehen von Gouverneur Karl Theodor Heinrich Leist (1859-1895) in den eigenen Reihen führte 1893 zu einem Aufstand in der Polizeitruppe, der nur mit Hilfe einer Kompanie deutscher Marinesoldaten der vor Kamerun stationierten Kriegsschiffe niedergeschlagen werden konnte. Bis Mitte der 1890er Jahre gelang es, das Landesinnere Südkameruns unter Kontrolle zu bringen und den von Dualas kontrollierten Zwischenhandel durch einen deutschen zu ersetzen. Anschließend versuchte die mittlerweile 200 Mann starke und in "Schutztruppe" umbenannte Polizeitruppe Zentral- und Nordkamerun für deutsche Händler zu erschließen. Die Abwesenheit der Truppe nutzten die Bulu 1899 für eine Erhebung an der Küste. Die zweijährige Auseinandersetzung markierte nach der Eroberung Adamauas in Zentralkamerun den größten Widerstand in der Kolonie. Zwischen 1904 und 1907 kam es zu einem weiteren Konflikt, in dem sich mehrere einheimische Gruppen gemeinsam gegen die deutsche Kolonialherrschaft auflehnten. Der Widerstand wurde von der 1.000 Mann starken Kolonialtruppe niedergeworfen.

In der Folgezeit bauten die Deutschen die Kolonie mit Kakao-, Zuckerrohr- und vor allem Kautschukplantagen wirtschaftlich weiter aus, deutsche Firmen erhielten Konzessionen für den Abbau von Eisenerz, Bauxit und Aluminium. Ab 1913 existierte eine eigene Telegraphenverbindung über die deutsche Kolonie Togo nach Deutschland, nachdem Kamerun 1893 über ein englisches Kabel an das Welttelegraphennetz angeschlossen worden war.

Nachdem es zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich 1911 zu einer politischen Krise um Einfluss in Marokko gekommen war, unterzeichneten beide Staaten zur Beilegung des Konflikts am 4. November 1911 in Berlin den Marokko-Kongo-Vertrag: Deutschland erkannte darin die Vorherrschaft Frankreichs über Marokko an, im Gegenzug erweiterte das Deutsche Reich seine Kolonie Kamerun um französisches Kolonialgebiet, genannt "Neukamerun" oder auch "Deutsch-Kongo". Die deutsche Kolonie grenzte nun direkt an Belgisch-Kongo und war um weitere rund 1,5 Millionen Einwohner gewachsen. Die völlige Inbesitznahme und wirtschaftliche Erschließung der neuen Gebiete verhinderte der Beginn des Ersten Weltkriegs. Trotz einer Erhöhung der Truppenstärke auf etwa 7.000 bis 8.000 Mann konnten die Deutschen den 19.000 gegnerischen Soldaten keine wirksame Verteidigung der Kolonie entgegensetzen und mussten sich im Januar 1916 ergeben. Nach dem Ende der Kampfhandlungen wurde Kamerun zwischen Briten und Franzosen in Interessensphären geteilt und im Zuge des Versailler Vertrags und im Namen des Völkerbunds 1919 unterbritische und französische Verwaltung gestellt.

Jan Antosch
2. November 2004

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