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Hunger und soziales Elend

Hunger, soziales Elend und Wohnungsnot prägten in den Anfangsjahren der Weimarer Republik das Alltagsleben von Kriegsheimkehrern sowie vieler anderer Deutscher. Die Lebensmittelrationierung wurde nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland nur allmählich abgebaut: 1919 zuerst für Eier und Fisch, anschließend für Kartoffeln und Fleisch, Monate später erst für Brot, Getreide, Butter und Milch. Hamsterfahrten und Schlangestehen gehörten zum Alltagsbild in den Großstädten, Lebensmittelkarten waren weiterhin unentbehrliches Requisit des täglichen Überlebens.

Überall fanden Tuberkulose und Rachitis zahlreiche Opfer vor allem unter den nur unzureichend ernährten Kindern, die größtenteils für ihr Alter zu klein waren. Nur die wenigsten von ihnen erhielten eine heilende Behandlung mit modernen UV-Strahlen. Im Zuge der Inflation erreichte die katastrophale Ernährungssituation ihren Höhepunkt. Die Preise für Nahrungsmittel stiegen täglich ins Unermessliche. Ein Stück Butter avancierte zu einem kostbaren Wertobjekt. Fett, Milch, Eier, Fleisch und Gemüse waren vom Speiseplan der meisten Familien verschwunden.

Verarmung, Arbeitslosigkeit und Hunger veranlassten politisch engagierte, meist linksorientierte Künstler immer wieder zu Solidaritätsaktionen. So sollte auch der Erlös der 1924 zugunsten der "Internationalen Arbeiterhilfe" herausgegebenen Graphikmappe "Hunger - 7 Originallithographien" die Hungerhilfe finanziell unterstützen. Sieben bekannte Künstler - Otto Dix, George Grosz, Eric Johansson, Käthe Kollwitz, Otto Nagel, Karl Völker und Heinrich Zille - beteiligten sich an der Mappe mit je einem Blatt. Grosz, der schon seit dem Ende des Ersten Weltkriegs mit gesellschaftskritischen Zeichnungen und Graphiken hervorgetreten war, bestätigt mit seiner Lithographie einmal mehr seinen Rang als zynischer Kommentator und Karikaturist der Weimarer Republik. Im Unterschied zu den Arbeiten seiner Mitstreiter, die die Hungernden aus dem sozialen Umfeld herausgelöst zeigen, erzielt Grosz seine Wirkung durch die Gegenüberstellung der Hungernden mit dem reich gefüllten Schaufenster eines Delikatessengeschäfts. Hunger rührt nicht vom Mangel an Nahrungsmitteln her, sondern von der ungerechten Verteilung des Wohlstands, lautet Grosz' Botschaft.

Arnulf Scriba
3. November 2023

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