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"Deutschland vor dem Bürgerkrieg" – angefeindete Demokratie

Die Geschichte der Weimarer Republik steht unter dem Vorzeichen schwerster innerer und äußerer Krisen. Die Kriegsniederlage und ihre Folgen waren eine Hypothek, die sich kaum abtragen ließ. Auf die Wirren der Revolutionsjahre 19181920 folgte ein durch das tödliche Attentat auf Reichsaußenminister Walter Rathenau veranlasstes Republikschutzgesetz. Zwar fand dieses Reichsgesetz zum Schutz der Republik am 18. Juli 1922 im Reichstag eine Mehrheit, doch es blieb umstritten und trug wenig zur Beruhigung einer politischen Lage bei, die von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen dem linken und dem rechten Lager geprägt blieb.

1923 geriet die Republik durch die französische Besetzung des Ruhrgebiets in ihre frühe Existenzkrise. Gestützt auf ein vermeintliches Mandat des Versailler Vertrages marschierten französische Truppen in der wichtigsten deutschen Industrieregion ein. Der Ruhrkampf verschaffte separatistischen Bewegungen in Bayern und im Rheinland Auftrieb. Es entwickelte sich ein Kampf um die Republik, der im November 1923 durch Hitlers Putsch in München einen ersten Höhepunkt fand. Obwohl man die Jahre 1924–1928, gemessen an der Anfangsphase Weimars, als eine Periode der Konsolidierung einstufen kann, gab es immer wieder staatsgefährdende Eruptionen.

Karl Dietrich Bracher ist schon früh, in einem Grundlagenwerk von 1955, dem Problem des Machtverfalls in der Demokratie nachgegangen. Den „hektischen Sog“ der Jahre 1930–1932 unter den Präsidialkanzlern Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher kann man der lang dauernden Krise der Weimarer Republik zuordnen. Doch erst in diesen Jahren gewannen die Zerstörungskräfte der Republik Einfluss auf deren demokratische Ordnung. Alte politische Gegnerschaften zwischen der radikalen Linken und einer auf den gewaltsamen Umsturz setzenden radikalen Rechten wuchsen sich zu blutig ausgetragenen Feindschaften aus.

Der „Bürgerkrieg“ war am Ende der Weimarer Republik mehr als nur ein Schreckgespenst des politischen Lebens. Sicherlich gab es viel Bürgerkriegsrhetorik auf beiden Seiten der Bürgerkriegsfront, auch regionale Unterschiede in der Bürgerkriegsintensität. Doch das Ausmaß der von den Menschen erfahrbaren politischen Gewalt war erschreckend. Der Ausfall einer mehrheitsfähigen Parteienkoalition führte ab März 1930 zu dem halbparlamentarischen System der Präsidialkabinette. Politische Entscheidungen hingen von dem Votum des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und seinem in der Weimarer Verfassung verankerten Notverordnungsrecht ab. Diese Konstellation erleichterte den Nationalsozialisten in ihrem Freund-Feind-Denken den Zugang zur Macht. Sie konnten diese erringen, weil in der eingetretenen Bürgerkriegslage das Wichtigste jeder staatlichen Ordnung, die Garantie des innerstaatlichen Rechtsfriedens, aufgerieben wurde.

Der Absturz der Weimarer Republik

Der Absturz der Weimarer Demokratie, so rasant er sich auch in der „Statistik über politische Ausschreitungen“ spiegelt, war freilich kein historisches Naturereignis. Beim Machtverfall der Demokratie stellt sich die Frage nach der politischen Verantwortung. Das Schicksal der Weimarer Demokratie war in den Schwellenjahren 1932 und 1933 eng mit dem politischen Geschehen im Freistaat Preußen verbunden. Preußen war die Klippe, auf der die Demokratie in Deutschland stand: Absturz oder Erhalt. Preußen umfasste zwei Drittel des Reiches und seine stabile politische Ausrichtung mit den drei frühen Weimarer Koalitionsparteien SPD, Zentrum und der linksliberalen DDP war in den Krisenjahren der Republik eine demokratische Alternative zu den Präsidialkabinetten. Doch auch Preußen wurde vom Bürgerkriegsgeschehen erfasst. Das Preußische Ministerium des Innern veröffentlichte Ende September 1932 eine Übersicht über die Todesfälle bei politischen Auseinandersetzungen in der Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1932. In diesem Zeitraum waren insgesamt 155 Todesopfer zu beklagen. Im November wurde noch einmal über den „schleichenden Bürgerkrieg“ in den Sommermonaten Statistik geführt. Für die Zeit vom 21. Juli bis 31. August 1932 zählte man insgesamt 493 politisch motivierte Taten, darunter 33 „im politischen Kampf“ Getötete. Nationalsozialisten und Kommunisten hatten zusammen einen Anteil von 75 Prozent an diesen Zahlen. Der Bürgerkrieg forderte seine Opfer, aber er stand im Kontext des so genannten „Preußenschlags“ vom 20. Juli 1932. Die noch geschäftsführende Regierung des Sozialdemokraten Otto Braun wurde von Reichskanzler Papen abgesetzt. Der „Preußenschlag“ war ein Schlag gegen die demokratische Legitimität der Republik. Hier liegt seine epochale Bedeutung.

Der „Preußenschlag“

Zur Vorgeschichte des militärischen Einschreitens gegen Preußen gehört der massive Stimmenzuwachs der NSDAP bei den preußischen Landtagswahlen vom 24. April 1932. Der „Preußenschlag“ zeigt das frivole Spiel mit dem Bürgerkrieg. Für Papen war es ein Machtspiel, für die Nationalsozialisten eine weitere, schon oft erprobte Gelegenheit, im Gewand einer nationalen Antibürgerkriegspartei aufzutreten.

Schon vor der Wahl des Reichspräsidenten im Frühjahr 1932, die Hindenburg gegen Hitler für sich entschied, hatte Joseph Goebbels in einer Reichstagsrede am 23. Februar 1932 die Wiederherstellung des „innenpolitischen Friedens“ gefordert. Vor der ganzen Nation müsse man heute feststellen, „dass Deutschland vor dem Bürgerkrieg steht, dass, mehr gesagt, der Bürgerkrieg latent in Deutschland bereits vorhanden ist“. Wie sich Goebbels den Weg zu einem befriedeten Deutschland vorstellte, verraten seine Tagebucheintragungen am 20. und 22. Juli 1932. Es war für ihn ein „wundervoller und beglückender Augenblick“, die Reichswehr „mit Panzerwagen und Maschinengewehren“ in die Reichshauptstadt einziehen zu sehen. Doch er sah weiter und hatte die unmittelbar bevorstehenden Reichstagswahlen im Blick. Am 31. Juli 1932 holte die NSDAP etwas mehr als 37 Prozent der Stimmen und erreichte 230 von 608 Mandaten. Als stärkste Fraktion stellte sie im Parlament mit Hermann Göring den Reichstagspräsidenten. „Unsere Propaganda klappt wunderbar“, hatte Goebbels schon am 22. Juli Bilanz gezogen. Die Nationalsozialisten waren die Begünstigten der Preußen-Aktion. Nicht nur die preußischen Minister mussten gehen, auch die Spitzenbeamten der Berliner Polizei wurden aus ihren Ämtern entfernt. Das Land Preußen glaubte an die letzte Bastion des Weimarer Verfassungsstaates und reichte eine Klage gegen das Reich beim Staatsgerichtshof in Leipzig ein.

Machtbefugnisse verbleiben bei Kanzler Papen

Im Leipziger Prozess „Preußen contra Reich“, in dem an sechs Tagen vom 10. bis 14. Oktober 1932 plädiert wurde, ließ sich das Reich auch von Carl Schmitt vertreten. Er war einer der führenden Rechtsgelehrten. In der Anfangsphase des „Dritten Reichs“ 1933/34 rechtfertigte Schmitt die Untaten des NS-Staates als legale Schritte. In Leipzig verteidigte er das Vorgehen der Reichsregierung mit dem Argument, „die bisherige Praxis der Behandlung der nationalsozialistischen Bewegung“ hätte geändert werden müssen. Es sei dem Reich darauf angekommen, „gerecht und objektiv zu sein und die für eine Bewegung, mit der Millionen Deutscher nicht nur sympathisieren, der sie ihre Stimme gegeben haben, beleidigende Gleichstellung mit der Kommunistischen Partei aufzuheben“. Den Leipziger Prozess gewann das Reich in der Substanz. Sämtliche Machtbefugnisse der preußischen Ressortminister verblieben beim Reichskanzler Papen als Reichskommissar für Preußen und den von ihm eingesetzten Beamten. Der „Preußenschlag“ war kein Schlag gegen den Bürgerkrieg, sondern das gewaltsame Zustellen eines politischen Weges, der aus der schwersten Krise der Weimarer Republik hätte herausführen können.

Preisgabe der Staatsraison

Papens politisches Taktieren verlieh seiner Kanzlerschaft keine Dauer. Sein Nachfolger als letzter Kanzler der Republik wurde Reichswehrminister Schleicher. Auch er scheiterte mit dem gewagten Konzept einer Militärdiktatur. Will man den Einstieg in das Verhängnis der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert auf den Punkt bringen, bietet sich ein Begriff an, mit dem Papen am 20. Juli 1932 gegenüber den preußischen Ministern argumentierte. „Gründe der Staatsraison hätten die Reichsregierung zu den getroffenen Maßnahmen genötigt“. Das war eine vorgeschobene Behauptung. Aus reinem Machtstreben hatte der Reichskanzler die Nationalsozialisten mit ins Boot genommen. Diese Preisgabe der Staatsraison eines parlamentarischen Staatswesens bedeutete das Ende der Weimarer Demokratie.

Dirk Blasius
17. Juli 2019

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