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Abtretung des Memellandes

Noch während des Ersten Weltkriegs ging Litauen im Februar 1918 als unabhängiger Staat aus dem vormaligen Russisch-Litauen hervor. Unmittelbar nach Kriegsende erhoben sich in Litauen Stimmen, die einen Anschluss des zum Deutschen Reich gehörenden Memellands an die junge Republik forderten. Begründet wurde dies damit, dass das Memelland schon immer litauisch gewesen sei, die Bevölkerung den Anschluss an Litauen wünsche und der Hafen Memel der einzige Zugang Litauens zur Ostsee sei. Im Memelland selbst trat sowohl die deutsch-, als auch die litauischsprachige Bevölkerung nahezu geschlossen für einen Verbleib beim Deutschen Reich ein und untermauerten dies durch Petitionen und Umfragen. Anders als im südlichen Teil Ostpreußens waren die Memelländer jedoch nicht von den Alliierten zu einer Volksabstimmung über den Verbleib beim Deutschen Reich aufgerufen worden.

Während der Verhandlungen über den Versailler Vertrag setzte der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau maßgeblich einen alliierten Beschluss über die Abtretung des Memellands durch. Dieser wurde der deutschen Delegation in Versailles am 7. Mai 1919 bekanntgegeben. Deren Proteste und Ausführungen über die 600-jährige deutsche Tradition und den über 50 Prozent betragenden Anteil der deutschen Bevölkerung an den 145.000 Memelländern wies Clemenceau zurück, indem er der litauischen Argumentation folgte. In Artikel 99 schrieb der Versailler Vertrag die Abtretung des Memellands durch das Deutsche Reich fest. Es wurde vorläufig alliierter Verwaltung und französischer Besatzung unterstellt.

Am 11./12. Februar 1920 verließen die letzten deutschen Truppen das Memelland, das im Auftrag der Alliierten zunächst französische Soldaten besetzten. Die Verwaltung übernahm der französische General Dominique-Joseph Odry (1865-1962), da die Rechtsverhältnisse der litauischen Territorien - ab 1920 teilweise von Polen besetzt - noch nicht geklärt waren. Auch wurde Litauen erst am 20. Dezember 1922 von den Alliierten völkerrechtlich anerkannt.

Um zu verhindern, dass im Memelland ein Freistaat nach dem Vorbild Danzigs eingerichtet werden würde, wie es die memeldeutsche Bevölkerung nun forderte, und um die Alliierten, die in Paris über das sogenannte Memelstatut verhandelten, vor vollendete Tatsachen zu stellen, marschierten am 10. Januar 1923 litauische Freischärler ins Memelland ein. Fünf Tage später nahmen sie die Stadt Memel (heute: Klaipeda) ein. Die litauische Regierung beschwichtigte die protestierenden Alliierten damit, dass dies ein Aufstand der ortsansässigen Litauer sei, sie selbst habe damit nichts zu tun. Tatsächlich war diese Aktion aber von der litauischen Regierung in Kaunas initiiert und gesteuert worden. Die französischen Truppen leisteten keinen Widerstand und zogen sich aus dem Memelland zurück, da sich dessen Angliederung an Litauen gleichzeitig auch auf politischem Weg vollzog. Am 16. Februar 1923 erkannten die Alliierten die Souveränität Litauens über das Memelland an. Mit dem Memelabkommen vom 8. Mai 1924 übertrugen die Alliierten ihre im Versailler Vertrag festgeschriebenen Rechte auf das Memelland an den litauischen Staat. Am 17. Mai 1924 folgte das Memelstatut, das für das Memelland eine umfassende Autonomie festschrieb.

Im Memelland begann die litauische Regierung unverzüglich mit Litauisierungsmaßnahmen gegenüber der deutschen Bevölkerung, wie dem Austauschen von Straßen- und Ortsschildern oder der Umstellung amtlicher Dokumente von Deutsch auf Litauisch. Aufgrund anhaltender Spannungen zwischen deutscher Bevölkerung und litauischer Verwaltung stand das Memelland seit 1926 unter Kriegsrecht. Erst im Vorfeld der Wahlen zum memelländischen Landtag von 1938 wurde das Kriegsrecht aufgehoben.

Marian Bertz
16. Februar 2010

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